Dienstag, Dezember 28, 2004

Verzeihen

Es geht ums Verzeihen.
Denn es heißt ja immer, dass man verzeihen können muss und schon in der Bibel steht es geschrieben. Hat nicht sogar Jesus seinen Peinigern und Mördern verziehen? Hat nicht sogar Gott denjenigen verziehen, die seinen Sohn gemartet haben?
Warum aber fällt das trotzdem noch so schwer?
Ich will mir keine Allmacht und Gleichstellung mit Gott anreden. Nichts liegt mir ferner als das. Aber ich will doch darĂĽber nachdenken, es war wohl schlimmer und das Verzeihen bitterer und schwerer als es so oft in unserem Alltag vorkommt.
Wie oft waren wir schon diejenigen, die einen Mord verzeihen mussten? Wie oft gehörten wir schon zu denen, die schreckliche Folterungen, Kriege, Vergewaltigungen, Plünderungen und ähnliches verzeihen mussten?
Man denkt immer, das passiert ganz weit weg von einem selbst und seinem Umfeld, aber das ist nicht so und wir kommen viel öfter mit solchen Untaten und deren Tätern und Opfern in Berrhung, als wir denken.
Wünschen mag ich so etwas nicht einmal meinem ärgsten Feind, denn selbst er hat dies nicht verdient.
Und dennoch wünsche ich dem Menschen, den ich mit "ärgster Feind" benennen würde schlimmste Dinge, in manchen dunklen Stunden sogar den Tod.
Ob er ihn wirklich verdient hätte, weiß ich nicht. Denn das kommt immer auf die Sicht des Betrachters an.
Aber dennoch. Eine Strafe hätte er verdient. Nach meinem menschlichen Ermessen.
Was wĂĽrde Gott dazu sagen?
Ein barmherziger Gott, der ihm verziehen hat und mir auch meine dunklen unchristlichen Gedanken verzeihen wird, wird seine eigene Art der "Bestrafung" haben und anwenden.
Wie sieht diese aber aus?
Vielleicht ist die schlimmste Bestrafung, die es auf Erden gibt die Erinnerung. Denn egal ob schön oder gräßlich, sie wird nicht erlischen und kann einem nicht genommen werden (im Normalfall). Genauso, wie das Opfer nicht vergessen wird, was mit ihm geschehen ist, genauso wird der Täter nicht vergessen, was er getan hat. Egal, ob er einsieht, dass es im allgemeinen moralischen Sinne unrecht war oder nicht. Er wird sich daran erinnern und manchmal ist das die schlimmste Strafe, die ein Mensch erleiden kann.
Aber auch das Verzeihen gehört dazu. Manche Dinge verzeiht man sich nicht einmal selbst und das Opfer aber kommt und sagt: Ich habe Dir verziehen!
Das muss hart sein für den Täter, das muss Unverständnis bei manchen hervorrufen, das muss niemand verstehen.

Dennoch kann ich es nicht. Noch nicht. Vielleicht werde ich es einmal können und ich hoffe es wirklich. Denn erst dann kann ich vergessen und weiterleben. Befreit vom Geschehenen.
Eine gesetzliche "gerechte" Bestrafung gab es nicht und Selbstjustiz ist ja (berechtigterweise) verboten in unserem Staat. Ich mag nicht verurteilt werden für seine Fehler und meine Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Der Gedanke der Selbstjustiz ist dennoch verlockend. Einfach hingehen, ihm ins Gesicht sagen, wie sehr ich ihn verachte und verabscheue. Ihm sagen, wie es mir geht und wie ich mich fühle. Wie ich mich die ganze Zeit gefühlt habe. Ich denke dabei auch sehr oft (immer) an körperliche Gewalt, die ich gerne gegen ihn richten würde. Anfangs war dies ein Spiesrutenlauf gekoppelt mit grausamster Folterung, die langsam zu einem grausamen Tode führen sollte. Irgendwann klang das ganze zu einer einfachen und recht harmlosen Kastration in aller Öffentlichkeit ab.
Ich bin also recht zahm geworden.
Aber ich weiß auch, dass dies keine Lösung wäre, sondern ein Problem, weil ich dfür verurteilt werden würde. Ich, das Opfer und nicht er, der Täter.
Forensisch gesehen ist er natürlich auch ein Opfer, wenn nicht gar DAS Opfer. (Was mich dann in eine gefährliche Täterrolle treibt.) So gesehen hatte er nicht die wunderschöne, unversehrte Kindheit und Jugend, nicht das geblümte Bilderbuchleben. So gesehen kann schon ein einziger Streit mit seinen Eltern dazu geführt haben, dass er so etwas tut. So gesehen gab es natürlich auch Vorzeichen, die hätten erkannt und berücksichtigt werden müssen und natürlich hat sein Umfeld versagt, weil es das nicht gesehen hat und ihm keine HIlfe anbot. Und ihm nicht half.
NatĂĽrlich. So gesehen.
Anders gesehen ist jeder auch ein wenig Schmied seines eigenen Glückes und alleiniger Verantwortlicher seines eigenen Handelns. Anders gesehen hätte er das nicht tun müssen.
Anders gesehen.

Aber ich kann dennoch nicht verzeihen. Vielleicht hilft mir das Schreiben, das Erzählen. Vielleicht geht es dadurch...