Donnerstag, Dezember 30, 2004

Borderlinerin

Ein schweres Eingeständnis und ein schweres Anerkennen der Wahrheit und der "Diagnose". Es gilt wohl als Krankheit, wird gerne mit den Suchtkrankheiten in eine Schublade gesteckt und genauso wirst Du auch angesehen, wenn Du es sagst.
Als ich angefangen hatte, war mir nicht bewusst, in welchen Sog und Teufelskreis mich mein Handeln führen würde.
Begonnen hat es zu einer unbestimmten Zeit. Wahrscheinlich gehörten Dinge zum Anfang, die ich gar nicht so empfand.
Mit 10 Jahren stand ich mal in der Küche und war von einem langen glatten Küchenmesser mit scharfer Spitze begeistert. Woher ich diese Faszination hatte, weiß ich nicht. Aus Filmen vielleicht? Jedenfalls nahm ich dieses Messer und setzte es über dem Herzen an und übte einen leichten Druck aus. So sehr schmerzte es gar nicht, dennoch erwachte ich nach kurzen Augenblicken und legte das Messer leicht schockiert weg. Was hatte ich da getan?
Im Gymnasium unterlag ich die ersten Jahre einem ungeheurem Gruppenzwang, aus dem ich mich nur schwer lösen konnte. Das führte dazu, dass ich mit den älteren Mädchen aus meiner Klasse heimlich rauchte - mit elf Jahren.
Ich war Pendlerin und gründete mit ca. 13 Jahren eine Clique, bestehend aus drei Jungen und mir. Die Jungs klauten, soffen und rauchten und ich hielt mich ans gelegentliche Rauchen, dekcte die Jungs und passte auf sie auf. So ne Art Big Mama. Aber sie genossen es.
Das Nächste war dann ein Junge, der mich anbaggerte und mit mir drei oder vier Tage ging, um an eine Freundin ranzukommen, die ihm aber schon lange versuchte klarzumachen, dass sie ihn nicht wollte.
Es hat wehgetan. Vor allem die Schlacht danach. Er ließ mir durch meine Clique diverse Drohungen ausrichten, die mich nicht störten, da ich ihm berechtigterweise keinen Glauben schenkte. Das Fieseste allerdings war der Kommentar, er hätte Angst, dass ich ihn überollen würde.
Nun traf es sich, dass wir ihn einmal in der S-Bahn trafen und ich ging zu ihm hin. Da saß er, klein, verschüchtert, ein Feigling.Als ich von ihm ging und wieder bei meinen Leuten saß, war ich sauer und verletzt. Ich krempelte meinen Ärmel hoch und ritzte mir mit einem recht scharfen Ring in meinen linken Arm.
Damit hat es angefangen und es ging immer fröhlich weiter. Was auch war, was ich für Probleme hatte und was mir auch wehgetan hat, ich hab zur Schere, Negelfeile, zu Messern und Ringen gegriffen, bis ich mir Rasierklingen kaufte, die beste Art zu ritzen.
Ich ritze mir den linken Arm auf und die Oberschenkel und versuchte ungefähr mit 17 das erste Mal, damit aufzuhören, doch es ging nicht. Wenn etwas war, griff ich zur Klinge.
Das Blut befreite, es ging mir besser - Placeboeffekt, es hilft nämlich gar nichts - ich fühlte mich weniger schuldig, reiner, der Schmerz war kurz weg.
Als ich dann meinen besten Freund kennenlernte, hörte ich auf.
Doch dann begann ein Horrortrip und ich ritzte mir insgesamt dreimal den Bauch auf. Das bis jetzt letzte Mal war im Juli und das Schlimmste. Ich kam von meiner Anwältin nach Hause, hatte gerade die Akte mit den Aussagen zu einem Ermittlungsverfahren wegen sexueller Nötigung gelesen und war zutiefst verletzt. ICh nahm eine frische Klinge und ging auf Toilette. Blind und ohne Gefühle zog ich die Klinge über die Haut an meinem Bauch.
Als ich wieder zu mir kam sah ich entsetzt auf das Blutbad auf meinem Körper.

Ich bin Ritzerin, Borderlinerin. Und es hat lange gedauert, bis ich das eingesehen habe.