Ein neues Leben für Mr Smith
Die Stadt rauschte vorbei. Der Zug wurde schneller. Je mehr Tempo er zulegte, desto größer wurde der Abstand zur Stadt. Die Stadt, die einfach nur weit weg musste. Die Distanz zwischen ihr und ihm musste größer werden, riesig. Man durfte ihn gar nicht erst mit ihr in Verbindung bringen. Er war zum Zug gerannt, hatte ihn gerade noch erwischt und war keuchend auf einen Platz gesunken. Neben ihm saß niemand, umso besser. Er konnte in Ruhe schlafen und niemand würde ihn dabei mustern, in anstarren, sich so seine Gedanken machen. Vielleicht sah man es ihm ja an?
Er ließ viel hinter sich. Nicht nur eine graue, anonyme Stadt, die bald schreien würde, er ließ mehr hinter sich. Eine Frau, ein Leben.
Vor drei Jahren hatte er neu anfangen wollen. Er hatte seinen Job gekündigt, die Wohnung ebenfalls, seine Sachen verkauft und nur mitgenommen, was er wirklich brauchte. Einen Koffer mit Erspartem und die Unterlagen für ein Konto, das nicht auf seinen Namen lief. Dann war er losgegangen. Hatte die Wohnung abgeschlossen und den Schlüssel in den Briefkasten des Hausmeisters geworfen, war in den Bus gestiegen und zum Bahnhof gefahren. Ein Ticket hatte er nicht gehabt. Also hatte er sich angesehen, welche Züge innerhalb der nächsten Stunde in ein neues Leben fuhren. Einen davon hatte er sich ausgesucht. 1602. Für den Zug war das nur eine Nummer, für ihn war es ein Datum, denn er hatte am 16. Februar Geburtstag. Es musste ein Zeichen sein. Am Schalter hatte er einfach für die ganze Fahrt bezahlt, bis zur Endstation. Aber er hatte den Zug schon viel eher wieder verlassen, in den nächsten großen Stadt, die ihm Anonymität bot. Das war ihm wichtig. Ein neuer Name, eine neue Lebensgeschichte, fast waren alle alten Spuren verwischt. Gearbeitet hatte er in einer Bank. Ein guter Job, der Geld einbrachte und ihn reich machen würde. Er hatte Einblick in sämtliche Konten gehabt und bald wusste er, welche alleinstehende Frau geeignet war. Unbemerkt beobachtete er sie, spionierte sie aus. Was tat sie, wie verbrachte sie ihre Freizeit, welche Freunde hatte sie und auf welche Männer hatte sie es abgesehen. Er musste nicht lange warten, bald hatte er alles erfahren, was wichtig war.
In seinem kleinen möblierten Zimmer, dass er sich angemietet hatte und das noch genauso leer und dreckig war wie an dem Tag, an dem er eingezogen war, entwickelte er einen präzisen Plan, wie er ihr Herz erobern würde.
Sie mochte Männer, die etwas darstellten, die ebenfalls ein kleines Vermögen besaßen und einen gewissen Luxus ausstrahlten. Markenkleidung war ihr wichtig, genauso wie regelmäßige Besuche in edlen Restaurants und angesagten Bars. Das alles würde er ihr bieten. Kurz überlegte er, ob er sich ein entsprechendes Haus mieten sollte, aber den Gedanken verwarf er bald wieder. Zu viel Aufwand für eine Frau.
Er richtete es ein, dass sie in einem der teuersten Restaurants der Stadt auf ihn aufmerksam werden musste. Indem er sich lautstark beschwerte über den bodenlos schlechten Service. Währenddessen beobachtete sie ihn, schätze wohl ab, wie viel Wahrheit und wie viel Getue hinter dieser Szene steckten und sprach ihn schließlich an, als er das Restaurant verließ.
Frauen waren so einfältig, so leicht zu begeistern, wenn man ihnen nur ein gutes Leben in Aussicht stellte. Mit einem gemieteten Maybach mit Chauffeur fuhr er sie nach Hause und blieb. Drei Jahre lang. Eigentlich hatte er gar nicht vorgehabt, sie so lange zu bespaßen. Doch sie war eigentlich ganz nett und vor allem gut im Bett. Warum sich also nicht eine billige Hure halten, die schwerreich war durch eine Erbschaft und ihn mitunter aushielt?
Mit der Zeit aber wurde es langweilig. Außerdem war er es leid, ihr jeden Tag etwas vorspielen zu müssen und dann doch nur in die Bank zu gehen, als normaler, kleiner Angestellter. Es war zu anstrengend geworden und im Grunde war er faul. Mit Ausnahme der Banklehre hatte er zu nichts gebracht im Leben.
Wieder saß er in einem kleinen, angemieteten Zimmer und schmiedetet Pläne. Wann wollte er sie wie los werden?
Am Freitag, den 16. Februar überwies er mit einer Vollmacht, die er ihr abgeluchst hatte um exakt 15:47 Uhr ihr gesamtes Vermögen auf das Konto eines Herrn Smith. Es ist zu auffällig, hatte er gedacht, aber vor drei Jahren war genau dieses Konto niemandem aufgefallen, obwohl es so offensichtlich schien. Sein Chef hatte ihm gesagt, dass kein Betrüger es wirklich so auffällig gestalten würde und alles auf ein Konto überweisen würde, das einem Mr. Smith gehörte. Das Geld würde dort auch nicht lange bleiben. Am Montag würde es bereits auf ein anderes Konto überwiesen werden und dann ein Teil in bar abgehoben werden, ein anderer Teil wieder auf ein anderes Konto kommen. Man würde ihn nicht finden.
Um 16:00 Uhr hatte er all seine Unterlagen sortiert, die Vollmacht vernichtet und seine Kündigung geschrieben. Er schloss die Bank ab, verabschiedete sich von seinen Kollegen und wünschte ein schönes Wochenende. Die Kündigung legte er seinem Chef auf den Schreibtisch und verließ die Bank.
Das Zimmer hatte er bereits gekündigt zum Monatsende. Es war noch ein halber Monat bis dahin, aber das machte nichts. Man würde nicht auf dieses Zimmer aufmerksam werden, wenn man nach ihm suchte, es war unter falschem Namen gemietet. Wenn doch: Es gab keine Spuren. Er hatte das Zimmer renovieren lassen, einen Putztrupp hingeschickt und es neu einrichten lassen. Sein Vermieter würde sich freuen und er hinterließ keine Spuren.
Um 17:00 Uhr betrat er das Haus seiner Verlobten – sie hatte auf diesen Schritt bestanden und er hatte eingewilligt, schließlich würde sie die Hochzeit nicht mehr erleben. Auf seinen Auftrag hin, hatte eine Reinigungsfirma das gesamte Haus bin in den letzten Winkel gereinigt. Es würde keine Fingerabdrücke oder sonstige Spuren von ihm geben. Keine Haare, er hatte rasierte sich stets eine Glatze; keine weiteren Fingerabdrücke, er trug dicke Lederhandschuhe. Die Kleidung würde er wechseln und zusammen mit der Mordwaffe in einen normalen, unauffälligen Koffer legen, den er unbemerkt in einem Zug deponieren würde.
Sie begrüßte ihn wie immer. Fiel ihm und den Hals und küsste ihn. Angewidert und ein letztes Mal ließ er sich darauf ein und drängte sie ins Wohnzimmer. Sie wollte mit ihm schlafen und ließ sich lüstern auf das weiße Ledersofa sinken, während sie ihre Bluse aufknöpfte. Ihr dabei zusehend, griff er in seinen Aktenkoffer, den er nicht aus der Hand gelegt hatte und holte das Beil heraus, dass ihr den dämlichen Schädel spalten sollte. Er trat hinter sie und holte aus. Man hörte nicht einem einen Schrei, sie war sofort tot. Doch das reichte nicht. Nicht nur der Tod, nein, er wollte sie zerfleischen, das Blut sollte spritzen, überall an den Wänden sollte ihr Leben heruntertropfen.
Um 18:13 Uhr wusch er sich das Gesicht und zog sich um. Kein Blut war mehr an ihm zu sehen. Der Koffer war gepackt. Man würde sie wohl erst nächste Woche finden, wenn ihre zickigen Freundinnen zu oft angerufen hatten und sie nicht ans Telefon gegangen war. Dann verließ er das Haus.
Um 18:45 Uhr stand er vor den Schließfächern am Hauptbahnhof und entnahm einem Fach einen gefälschten Ausweis, der sein neues Leben markierte. Der Koffer mit dem Beil und der blutverschmierten Kleidung war schon in einem Zug nach Moskau. Er selbst würde einen anderen Zug nehmen. Als reisender Geschäftsmann würde er auftreten.
Um 19:14 Uhr pfiff der Schaffner, die Türen schlossen sich und der Zug rollte aus dem Bahnhof. Weg von der anonymen Stadt, weg von ihr. Hinein in ein neues Leben voller Reichtum und Geld. In seinem ersten Leben hatte er einen achtstelligen Betrag ergaunert durch seinen Job bei der Bank, in seinem zweiten Leben hatte er eine schwerreiche Frau um ihr Millionenerbe gebracht. Eigentlich sollte dieses Geld reichen für ein ganz neues drittes Leben. Doch er war sich nicht sicher, ob es genug war. Sicherlich hätte er gut damit leben können bis er starb, aber es war so einfach gewesen an das Geld heran zu kommen, dass er vielleicht noch einmal zuschlagen wollte. In der nächsten, großen Stadt.
Das Wochenende über erholte sich in einer Luxussuite im teuersten Hotel der nächsten Großstadt. Er verfolgte die Nachrichten, aber sie war noch nicht entdeckt worden. Das gab ihm Zeit und Vorsprung, die er brauchte.
Am Montagmorgen um 10:00 Uhr betrat ein Geschäftsmann mit maßgeschneidertem Anzug und einem Aktenkoffer eine Bank. Er gab sich als Mr. Smith aus Groß Britannien aus und legte seinen britischen Pass vor. Einen Teil seines Vermögens ließ er sich ausbezahlen, dazu hatte er die Bank in der vergangenen Woche angewiesen, der Rest wurde auf ein anderes Konto überwiesen. Er sei mit der Bank unzufrieden, teilte er mit.
Um 10:35 Uhr stürmten zwei maskierte Männer in die Bank und verlangten Bargeld. Bei ihrer Flucht schossen sie wild um sich, um die Angestellten einzuschüchtern.
Um 11:00 Uhr war die Polizei vor Ort und vernahm die Zeugen. Keiner war getroffen worden, die Bankräuber hatten zur Decke gezielt. Ein heller Schrei unterbrach die Untersuchungen. Eine Bankangestellte war hinter einen Schreibtisch getreten, um etwas zu holen. Da sah sie den kahlrasierten Mann mit dem Aktenkoffer und dem maßgeschneiderten Anzug.
Der schwerreiche Mr. Smith war das einzige Opfer des Überfalls. Ein Querschläger hatte ihn getroffen. Ein Schuss in den Kopf. Er war sofort tot gewesen, stellte der Gerichtsmediziner fest. Man entlarvte ihn im Laufe der Woche als Betrüger, der die Millionenerbin ermordet und ihr Geld gestohlen, und viele Kunden einer Bank um ihr Erspartes gebracht hatte. Mit seinem Reichtum hatte er ein neues, luxuriöses Leben beginnen wollen. Ohne Sorgen und tägliche Schufterei. Ohne auf seine Ausgaben achten und etwas verzichten zu müssen. Mr. Smith hatte alles bedacht und mit allem gerechnet, er hatte alles bis ins kleinste Details geplant. Und doch hatte er etwas übersehen: Den tödlichen Zufall.
1 Comments:
Heute spiel ich mal Kritiker ;-)
Sehr gut geschrieben. Das Bild von Mr. Smith und seiner Geschichte setzt sich Stück für Stück passend zusammen. Ich hatte beim Lesen schon auf eine überraschende Wende gehofft, die dann mit dem Banküberfall auch kommt. Genial.
Nur der letzte Satz passt irgendwie nicht ins Bild, hat sich beim Lesen gefühlsmäßig "quergestellt". Anstatt den Grund zu liefern, warum er schließlich entlarvt wurde, hatte ich mich auf eine Art "Moral" eingestellt, z.B. dass das Schicksal für Gerechtigkeit sorgt.
Ich freu mich schon auf die nächste Geschichte.
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