Montag, März 05, 2007

Wunder machen Mut

Predigt gehalten am 19.08.2006 in der Christuskirche zu Tutzing.



„Rahn müsste schießen. Rahn schießt und – Tor!“ Eine Vorlage, das Erkennen einer Möglichkeit, eine genutzte Chance.

Liebe Gemeinde, als Wunder von Bern ist dieses Tor in die Geschichte eingegangen. Unter genau diesem Titel ist meiner Generation auch die Fußballweltmeisterschaft von 1954 bekannt. Es war ein großes Ereignis – damals.

Die diesjährige Weltmeisterschaft ist vorbei. Denken Sie noch daran? Reden Sie noch darüber? In meinem Freundeskreis wird noch immer von der WM gesprochen. Die Deutschlandfahnen wehen noch im Wind und wir sind immer noch stolz auf die Leistung unseres Teams und auf unser Land. Blicken wir doch noch einmal zurück.

Die WM im eigenen Land sollte Deutschland den vierten Titel bringen. Siegessicher gab es T-Shirts mit dem Aufdruck „Deutschland, Weltmeister 2006“ zu kaufen. Eine bekannte Band aus der Gegend landete einen großen Hit und man sang euphorisch: „´54, ´74, ´90, 2006“. Doch wirklich dran geglaubt hatte niemand. Nicht nach den Leistungen der Nationalmannschaft in den Spielen vor der WM. Nicht, nachdem der Bundestrainer lieber in Kalifornien wohnt, als in Deutschland. Nicht, nachdem es selbst kurz vor der WM so viele Veränderungen im Team gab.

Viele hatten die deutsche Mannschaft schon in der vorrunde ausscheiden sehen. Aber dann passiert das Unglaubliche. Kein Spiel wird verloren, das Achtelfinale erreicht, die Schweden besiegt. Die Stimmung ist großartig! Plötzlich glaubt man an das Team. An den Sieg. An Deutschland. Die Fahne weht stolz im Wind, jeder hat eine, jeder feiert. Doch dann heißt der Gegner Argentinien. Ob wir da auch siegreich sein werden? Die Anspannung ist deutlich zu spüren und die Hoffnungen auf das Halbfinale schwinden, als Argentinien in Führung geht. Das Spiel ist fast vorbei. Da sieht Klose seine Chance, schießt – Tor!

Sie kämpfen. Sie rennen über den Rasen, durch die Hitze, kämpfen, probieren, greifen an. Doch das Runde will einfach nicht ins Eckige.

Diese seltsame Stille, dieses bange Warten. Die Hoffnung, die Gebete. Elfmeterschießen. Ein Mann, der jeden Elfer verwandelt, so sagt der Reporter, soll als erstes für die Argentinier schießen und treffen. Die Stille wird noch lauter. Die Anspannung ist noch greifbarer.

Er nimmt Anlauf. Er schießt und – gehalten! Lehmann hält! Und er hält noch mal. Deutschland ist im Halbfinale.

Das Wunder ist perfekt. Diese Mannschaft, an die nicht einmal das eigene Land geglaubt hat, schlägt sich tapfer und kämpft sich mutig durch das Turnier.

Der dritte Platz ist es geworden. Ein Land feiert – und steht plötzlich hinter einer Mannschaft und einem Trainer, an die sie zuvor nicht geglaubt haben. Es ist das Wunder von Deutschland.

Liebe Gemeinde, begeben wir uns nun an den See Genezareth.

Petrus steht am Ufer. Er hat diesem Wanderprediger zugehört, der einfach in sein Boot gestiegen war und hinausgefahren werden mochte. Seiner Predigt hatte Simon gar nicht folgen können. In Gedanken war er bei dem miserablen Fang der vergangenen Nacht. Wieder nichts. Wieder eine Nacht auf dem kleinen Boot verbracht, gefroren, die Augen waren fast zugefallen und nur mühsam hatte er sich wach halten können. Für nichts und wieder nichts. Wie sollte er nur seine Familie ernähren?

Der Fremde kommt auf ihn zu. Ein junger Bursche, braungebrannt, ja, der sorgt sich um nichts. Zieht umher, predigt hier uns da irgendwas und erbettelt sich sein Essen. Petrus ist gereizt und da fordert ihn dieser Fremde auch noch auf, noch einmal hinaus zu fahren. Am liebsten hätte Petrus ihn angeschnauzt: „Du hast doch gar keine Ahnung vom Fischfang! Das ist nicht so einfach, wie Du Dir das vorstellst. Und am Tag bringt das schon gar nichts. Da fliehen die Fische vor der heißen Sonne in die kühle Tiefe!“

Aber er sagt nichts, sondern sieht den Fremden nur an, wie er da steht und ruhig seinen Blick erwidert. Nur schwach protestiert er: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Aber auf Dein Wort will ich die Netze auswerfen!“ und Petrus fährt doch bei Tag auf den See hinaus.

Ein Wunder geschieht, denn die Netze füllen sich und beginnen unter der Last der Fische sogar zu reißen.

Petrus kann es nicht fassen. Er sieht den Fremden am Ufer stehen und muss zu ihm. Er springt aus dem Boot, schwimmt an Land und wirft sich nieder.

„Herr, geh weg von mir, ich bin ein sündiger Mensch!“ Denn er ist so erschrocken über diesen Fang.

Der Fremde aber beruhigt ihn: „Fürchte Dich nicht, von nun an sollst Du Menschen fangen!“, sagt er und Petrus steht auf und folgt ihm zusammen mit seinen Freunden Jakobus und Johannes. Er wundert sich nicht einmal über den seltsamen Auftrag, Menschen zu fangen.

Das Wunder hat ihn gefesselt und überzeugt. Egal, wie viel Ahnung der Wanderprediger vom Fischfang hat, er kann andere Dinge. Er kann Wunder bewirken und Petrus will noch mehr sehen.

Liebe Gemeinde, „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen!“, so klagt Simon Petrus in der Geschichte in Lukas 5. Eine ganze Nacht, die kühl, dunkel und vielleicht sogar regnerisch war, hat er mit seinen Gefährten auf dem See Genezareth verbracht und vergeblich die Netze ausgeworfen. Ohne Maschinen, ohne technische Hilfe. Wie enttäuschend muss diese Nacht gewesen sein und wie viel Sorge um den Lebensunterhalt hat sie mit sich gebracht?

Ist es denn heute anders, wenn die Fischer aus den umliegenden Orten auf den See hinaus fahren? Viel verbessert hat sich nicht. Natürlich, die Boote sind stabiler gebaut, komfortabler ausgestattet, haben sogar einen Motor und die Technik hat das Einholen der Netze erleichtert. Ein harter Job ist es dennoch. Wenngleich die Fischer nicht wie bei Lukas die ganze Nacht auf dem See verbringen, so fahren sie doch früh morgens schon, in der Dämmerung hinaus, in der Hoffnung auf einen guten Fang. Im Sommer zur Badesaison sind sie sogar noch früher auf dem See. Sie wollen den Schwimmern, die den Sand aufwirbeln und der Sonne, deren heiße Strahlen die Fische in die kühlen Tiefen des Sees zwingen, zuvorkommen.

Leicht ist das Fischen nicht. Wahrscheinlich würden die Fischer aus den Orten hier genauso erschöpft und lustlos auf Jesu Aufforderung reagieren, wie Simon Petrus. Aber vielleicht würden sie genau wie er trotz der Müdigkeit noch einmal hinausfahren und die Netze auswerfen. Auf sein Wort hin.

„Und sie verließen alles und folgten ihm nach.“ So endet die Geschichte vom Fischzug Petri. Wie soll man sich das vorstellen? Vom Abschied selber ist schließlich nichts überliefert. War es denn für Petrus und seine Gefährten so einfach? Alle Freunde, die Heimat, die Familie zu verlassen und einem Wildfremden zu folgen, erfordert ein gewaltiges Maß an Mut und Vertrauen. Das Altbekannte und den sicheren Schutz der Familie zu verlassen, in eine unbekannte Zukunft zu gehen. Was hat Petrus seiner Familie zum Abschied gesagt? Hat sie verstanden, warum er geht? Wie hat seine Familie darauf reagiert? Kann sie sich denn ohne ihn ernähren? Vielleicht helfen ihnen Freunde. Aber die anderen Fischer, Jakobus und Johannes, gehen auch einfach weg. Wie viele Fischer leben denn in dem kleinen Dorf am See Genezareth? Wie groß ist wohl die Chance, dass die Netze voller werden und auch die zurückgelassenen Familien mit ernährt werden können?

Das alles kümmert Petrus nicht. Er geht einfach weg. Sollen die anderen doch alleine zurecht kommen. Er geht. Schließlich kann er sich selber um Essen kümmern und sieht einmal etwas von der Welt. Wenngleich es damals verglichen mit heute doch sehr begrenzte Möglichkeiten waren und die Welt noch kleiner schien. Simon zieht mit ein paar Freunden los. Simon Petrus, der Aussteiger.

Vieles an seinem Verhalten ist mir nicht klar. Doch manche Dinge sind schon nachvollziehbar. Der Wunsch zu gehen, alles stehen und liegen zu lassen, ist doch öfters mal da.

Wenn die Pflichten uns zu erdrücken scheinen und wir glauben, diese Aufgaben niemals bewältigen zu können.

Wenn wir nach einem Streit zu stur und zu stolz sind, uns zu entschuldigen.

Wenn es ein scheinbar unlösbares Problem gibt.

Dann geht es uns doch auch so, dass wir gerne gehen und alles hinter uns lassen möchten.

Nachfühlen kann ich Simons Entschluss also doch. Aber zwischen uns beiden ist doch ein Unterschied. Meine Mutter sagte früher immer, wenn ich wutentbrannt und Türe knallend aus dem Zimmer gerannt bin: „Wer raus geht, muss auch wieder rein kommen!“ Sie hatte recht. Das müssen wir doch alle.

Wieder rein kommen. Uns dann doch dem Konflikt stellen. Schließlich ist dieses Weggehen, einem Konflikt aus dem Weg gehen zu wollen, sinnlos und irgendwie auch feige.

Wer, liebe Gemeinde, hat denn Petrus überhaupt gesagt, dass er gehen soll? Niemand. Er geht freiwillig. Denn dieser Fremde, Jesus, hat nie gesagt, dass Petrus ihm folgen soll. Er hat nur gesagt, dass Petrus sich des Wunders wegen nicht fürchten muss und von nun an Menschen fangen wird. Wie und wo, davon ist gar nicht die Rede. Schließlich hätte Petrus auch in seiner Heimat, in dem Fischerdorf und den Nachbardörfern am See Genezareth Menschen fangen können. Überall dort hätte er erzählen können, was passiert war. Aber nein. Das tut er nicht. Ist diese Möglichkeit der unverhofften Freiheit von allen Verpflichtungen und Zwängen so verlockend, dass er einfach weggeht?

Ich weiß nicht, warum Petrus das tut. Warum er einfach alles hinter sich lässt. Es muss etwas mit ihm passiert sein. Etwas muss Petrus überzeugt, ihn mitgerissen haben, dass er bereit ist, alles aufzugeben und in eine unbekannte Zukunft zu gehen. Petrus wäre sicherlich nicht einfach einem Wildfremden gefolgt. Nur, weil dieser gesagt hatte, dass die Fischer noch einmal hinausfahren und die Netze auswerfen sollen. Nur, weil Petrus sich dachte: „Eigentlich hast Du Fremder ja gar keine Ahnung vom Fischfang. Es ist sinnlos am helllichten Tag auf den See hinaus zu fahren und die Netze auszuwerfen.“ Nur, weil er weiß, dass er nicht gefangen hat und mit leeren Händen nach Hause kommen würde und sich deshalb sagt: „Aber schaden kann es ja nicht. Ob ich jetzt nach Hause gehe und die enttäuschten Gesichter meiner Familie sehe oder noch einmal hinaus fahre, ist egal.“

Also fuhr er hinaus und warf die Netze aus und – siehe da! Fische! Jede Mensche Fische! Ein Wunder! Wie ist das nur möglich?

Ja, das war ein Wunder und Petrus freute sich, dass er seiner Familie etwas zu essen bringen konnte und dass dieser Fang so reichhaltig war, dass er noch sehr viel verkaufen konnte. Der beste Fang des Jahres!

Aber dann stutzt Petrus. Es ist Tag, die Sonne brennt heiß vom Himmel und die Fische sind nicht in den Tiefen des Sees verschwunden. Das ist seltsam. Ein richtiges Wunder eben und da am Ufer steht noch der Mann, der sagte: „Fahre hinaus!“ Was kann dieser Mann denn noch? Wer ist er? Petrus ist magisch angezogen von ihm und hat gleichzeitig Angst. Woher wusste der Fremde, dass dort so viele Fische sein würden?

Petrus muss zu ihm, muss sich bei ihm bedanken, muss wissen, wer der Fremde ist. Er will herausfinden, was noch alles möglich ist. Petrus folgt also nicht einfach einem Wildfremden. Er folgt, weil er etwas wunderbares erlebt hat. Er folgt dem Wunder.

Petrus folgte Jesus ohne zu fragen, wohin. Zwar wissen wir heute, wohin dieser Weg führte und wie beschwerlich er war. Aber Petrus wusste das nicht. Er vertraute. Er hatte gesehen, welches Wunder Jesus gewirkt hatte und das allein hatte ihn überzeugt und ihm Mut gemacht. Das Wunder hatte ihn so sehr begeistert, dass er dem Mann, der allem Anschein nach dafür verantwortlich war, folgen musste. Egal, wohin es gehen würde.

Aber wäre Petrus auch gefolgt, wenn Jesus nur gesagt hätte: „Folge mir!“? Wären wir gefolgt? Es ist sicherlich leichter zu folgen, wenn man die Macht Jesu erlebt und das Wunder gesehen hat.

Heutzutage wünschen wir uns oftmals solche Ereignisse und übersehen dabei meist tatsächliche Wunder.

Wenn ein Mensch einen schweren Autounfall nahezu unverletzt überlebt.

Wenn die Ärzte nach einer schweren Operation den Angehörigen keine Hoffnung mehr machen können und der Patient dann doch, wie durch ein Wunder aufwacht und es ihm gut geht.

Oftmals werden diese Wunder dem Glück zugeschrieben. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass dies Gottes Wille und Gottes Wunder sind.

In manchen Gesprächen werden Stimmen laut, die fragen: „Wo ist denn Dein Gott? Hast Du ihn schon mal gesehen? Wie kannst Du sagen, dass es ihn gibt und an ihn glauben, wenn Du ihm nie begegnet bist?“

Diese Menschen zu überzeugen ist nicht einfach und das sollten wir auch gar nicht versuchen. Zeigt man ihnen eine Kirche, so ist es doch nur ein Gebäude. Liest man ihnen aus der Bibel vor, so ist es doch nur ein Buch. Von Menschen geschrieben. Kein Beweis. Kein Gott. Nicht für Zweifler.

Für mich jedoch erzählt die Bibel von Gott und seinen Wundern. In ihr finde ich Trost und Halt. Gott ist immer da. Allmächtig und allgegenwärtig. Da braucht es keine großen Wunder. Er offenbart sich mir auch – und vor allem – in den kleinen und scheinbar alltäglichen Dingen.

Ein Zweifler mag das anders sehen. Man kann ihn nicht zwingen, an Gott zu glauben. Man kann ihm nur verschiedene Wege zeigen. Zu Gott wird er aber auf seinem eigenen Weg finden.

Die Deutschen haben durch eine wundersame WM wieder zu ihrer Nationalmannschaft und ihrem Land gefunden,

Petrus, Jakobus und Johannes haben durch einen wundersamen Fischzug zu Gott gefunden.

Die Fischer hier auf dem See haben sich vielleicht auch schon „Petri Heil“ gewünscht, sind hinaus gefahren auf den See und haben ein Wunder erlebt und so zu Gott gefunden.

Welches Wunder hat Sie zu Gott geführt?

Manchmal ist ein Augenblick des Innehaltens wichtig. Sich des Wunders zu erinnern, lässt einen in Zeiten des Zweifelns wieder hoffen und gibt jedem von uns den Mut, loszugehen. Den unbekannten und wundersamen Weg – Gott folgend – zu beschreiten.