Sonntag, Oktober 12, 2008

Das Häuflein Mensch

Es war eine kalte, harte Hand, die sie packte. Im Nacken, mit hartem, festem Griff, unsanft, unfreundlich. Sie zuckte zusammen, zog die Schultern hoch, ein ganz normaler Reflex. Tausend Spinnen mit ihren eiskalten Beinen, krabbeln über ihren Rücken und verursachen kalte Schauer. Wieder ein Reflex, dass sie sich die Oberarme reibt, auf dass es ihr warm würde.

Sie gräbt ihre Fingernägel in das Fleisch, krallt sich fest. Leise bahnt sich eine Flüssigkeit ihren Weg über das Gesicht. Ein Teil der Flüssigkeit versiegt im Mund und hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Der andere Teil rinnt weiter und verliert sich irgendwo auf dem Boden. Die Lippen beben leicht, die Hände sind eiskalt, das Gesicht verzogen, angespannt. Speichel sammelt sich im Mund an, bevor sie zum Sprechen ansetzt, muss sie erst mehrere Male schlucken. Die zitternden Lippen öffnen sich und formen Buchstaben, aber es kommen keine Laute aus dem Mund. Der Mund schließt sich wieder.

Die Nase krampft sich zusammen. Das Einatmen zog den ganzen Schleim zurück, der schon aus der Nase triefen wollte. Ein Schlucken, ein heftiges Ausatmen.

Pochende Kopfschmerzen machten sich breit und quälten.

Ein tiefer, dunkler, schwerer Schmerz lag auf ihrer Seele und schien sie innerlich zu erdrücken.

Sie wollte schreien, laut schreien, weglaufen, sich die ganze Haut aufkratzen, damit der innere Schmerz vergehe, sterben, damit alles ein Ende hätte. Sie wollte die Flasche, die vor ihr stand gegen die Wand werfen und das Glas splittern und zerspringen hören, als würde dies etwas ändern.

Schließlich vergrub sie das Gesicht in den Händen, roch den lieblichen Seifengeruch, spürte den Druck ihrer Finger an der Schläfe, meinte zu ersticken. Dann neigte sie langsam den Kopf und die Finger glitten durch die wirren Haare. Der Kopf blieb gesenkt, die Finger verschränkten sich in den Haaren und die Handgelenke drückten die Stirn.

 

Der Polizist ihr gegenüber sah dieses Häuflein Mensch, völlig verstört und geschockt von der Nachricht, dass ihr Freund ums Leben gekommen war.

1 Comments:

Blogger Sir Torbald said...

Das Häuflein Mensch ...
In einem Film wäre das nichts weiter als die Darstellung eines völlig verstörten und geschockten Menschen, was abhängig vom Darsteller natürlich gut oder schlecht rübergebracht werden kann.

Deine Geschichte aber braucht diese Darstellung nicht, sie ist das Bild schlechthin, vor meinem geistigen Auge.
Und mein Kopf denkt darüber nach, wer hinter diesem Bild stecken könnte ...

11:20 PM  

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