Freitag, April 22, 2005

Das Theaterstück um die Würde

Menschenwürde und grausame Sterbehilfe, ein Thema, das gerade erst wieder die Medien durchkauten, mit dem Stimmung gemacht wurde und Politiker versuchten, sich beliebt zu machen.
Da war ein amerikanischer Präsident, der sich für das Leben aussprach, was man von ihm durch seine zweifelhafte Kriegsgeilheit nicht erwartet hatte.
Da waren Demonstranten vor einem Hospital, die einen Menschen am Leben lassen wollten.
Da waren Fremde, Unbeteiligte, die wild diskutierten, denn schließlich hat ja jeder seine Meinung und jeder wurde noch mehr angestachelt durch die Medien, die gar nicht merkten, dass sie irgendwo nichts mehr zu suchen hatten.
Da waren die Eltern einer jungen Frau, die übersehen hatten, was aus der Tochter geworden war und sich an etwas klammerten.
Da war ein Ehemann, der die Würde seiner Frau bewahren wollte, der ihr Bestes wollte.
Da war Terri Schaivo. Eine junge Frau, die gealtert war und es gar nicht gemerkt hatte, weil sie 15 Jahre woanders gewesen war.
15 Jahre sind eine verdammt lange Zeit, wenn man jeden Tag nur irgendwie mitbekommt – gehen wir mal davon aus, dass Komapatienten wirklich etwas oder auch etwas mehr mitbekommen.
15 Jahre sind eine sehr lange Zeit, wenn man eine Ehe führt und doch ganz alleine ist. Man ist nicht einsam in der Ehe, man ist verlassen. Man sieht die geliebte Partnerin zu der man Ja gesagt hat in einem jämmerlichen und hoffnungslosen Zustand und bleibt ihr dennoch treu. Man pflegt sie, umsorgt sie, hofft und betet jeden Tag für sie.
15 Jahre die Tochter im Wachkoma sehen und ihr nicht helfen können. Vielleicht ist dieses ständige bange Warten und Hoffen schlimmer noch als der Tod des eigenen Kindes. Denn wünschen sich Eltern nicht das Beste für das eigene Kind? Kommt nicht oft die ängstliche Frage der Mutter: Hat sie lang leiden müssen, hatte sie Schmerzen, als sie starb?
Die Welt hat sich eingemischt und stand meist auf der Seite der Eltern. Nicht auf der Seite Terris. Weiß denn einer, was Terri gewollt hat? Ob sie noch länger im Wachkoma liegen wollte und vor sich hinvegetieren wollte? Nein, das weiß keiner. Nicht der Ehemann, nicht die Eltern und auch nicht die Menschen, die sich hinter die Eltern gestellt haben.
Ich fand es ungerecht, dass so wenige auf der Seite des Ehemanns standen. 15 Jahre einer Wachkomapatientin die Treue halten und sie pflegen kostet Kraft. Viel Kraft. Er hat die besten Jahre seines Lebens an eine Puppe verschenkt. Wer würde das tun?
Kann sich nicht jemand vorstellen, dass er auch mal am Ende seiner Kräfte war, dass er die ganze Welt verflucht hat, weinend zusammengebrochen ist, Geschirr vom Tisch gestoßen hat, den Gedanken hatte zu gehen?
Er hat sich ganz genau überlegt, was er tat, als er wollte, dass seine Frau in Würde stirbt.
Hier ist der Punkt, das unscheinbare Wort: Würde. Was ist Würde? In unserem Grundgesetz steht sie an erster Stelle und wird jedem Menschen zugesprochen und dennoch kann sie keiner wirklich richtig definieren. Hat dieser Zank um sie und ihr Wohl nicht Terris Würde verletzt, sie ihr sogar zu einem Teil genommen?
Sie ist tot. Jetzt. Endlich. Oder zu früh. Sie ist erlöst von Qualen. Oder ermordet worden. Wer hat das zu bestimmen, wer darf darüber richten? Nicht wir, so denke ich.
Der Ehemann muss seinen Entschluss vor sich selbst und vor Gott verantworten können und das kann er, sonst hätte er nicht dafür gekämpft.
Wir sind nur die Zuschauer, die beurteilen, ob das Theaterstück gut war oder nicht.
Die Akteure stehen auf der Bühne und verneigen sich und irgendwo auf einer Wolke am Bühnenhimmel sitzt Terri und schaut uns zu. Sie wird die Szene belächeln, egal auf welcher Seite sie stand. Sie stand auf ihrer eigenen Seite. Doch die hat kein Interview und keine Reportage beleuchtet, die wurde in dem Bühnenstück nicht aufgeführt.