Dienstag, Oktober 23, 2007

Nachruf für Markus 4.3.84 - 30.7.07


Ich wünschte, ich hätte Dich geliebt, als ich die Chance dazu hatte. Aber das habe ich nicht. Keine Liebe, nicht dieses schöne Gefühl, nicht dieser sanfte Liebeskummer.

Du warst ein Freund für mich. Ein besonderer Mensch. Wir haben uns ohne Worte verstanden. Ein Blick hat genügt, ein Zwinkern, eine Träne, die Du nicht vergossen hast. Ein kleines Wort hat schon alles gesagt.

Du wolltest immer glücklich sein. Du wolltest immer diese eine Frau haben – Du hast sie endlich bekommen, denn sie war die einzige, die Du wirklich geliebt hast.

Ich glaube, Gott hat Dich zu sich gerufen, als Du am glücklichsten warst, weil Du alles erreicht hattest, was Du erreichen wolltest – für’s Erste. Ich glaube aber, dass Gott Dich vor allem so jung zu sich gerufen hat, weil Du Deinen göttlichen Auftrag hier bei uns erfüllt hattest.

Trotzdem kann wohl niemand Deinen Tod begreifen und er trifft mich jedes Mal auf’s Neue, wenn ich Dein Bild sehe, wenn ich an Dich denke, wenn ich an Deinem Grab stehe.

Nur die Besten sterben jung – Du warst der Beste.

Wen die Götter lieben, den lassen sie jung sterben – Du warst jung.

Aber es tröstet mich zu wissen, dass Gott in Deinen schwersten Stunden bei Dir war und Dir soviel Kraft gegeben hat, wie Du gebraucht hast.

Ich pflücke Rosen für Dein Grab
Du bist nicht mehr hier
Doch Du lebst in mir –
Ich lass es Tränen regnen

Dienstag, Oktober 02, 2007

Es ist Liebe, mehr nicht

„Warst Du schon einmal so richtig verliebt, dass es wehtat und Du nicht wusstet, wo Du hin sollst mit all Deinen Gefühlen und wir war das, nach der Trennung für Dich? Auch so schlimm? Konntest Du auch nicht los lassen und hast Du Dich jemals gefragt, wie es weitergeht und ob Du jemals wieder lieben können wirst? Hast Du danach jemals wieder richtig geliebt?“ Er verstummte und sah sie an.
„Als ich in Deinem Alter war, hätte ich sofort mit nein geantwortet, denn ich habe erst später erfahren, was wirkliche Liebe ist und wie das mit den Beziehungen so läuft. Als junger Mensch lebt man da irgendwie ganz anders und macht sich nicht so viele Gedanken. Ich hab da mein Leben genossen und mal diese, mal jeden Freundin gehabt, manche etwas länger, andere etwas kürzer, aber ganz ehrlich, Ivena, ich traue Dir diese Schnelllebigkeit nicht zu und deshalb frage ich. Ich hoffe, es ist jetzt nicht falsch oder so?“ Er legte den Kopf schief, sah sie an und wartete. Ivena ließ sich die Frage durch den Kopf gehen und sah ihm dabei in die Augen. Jetzt wusste sie, wie er sie sah und über sie dachte, zumindest zu einem Teil und dieser Teil war nicht ganz unbedeutend für sie.
„Ja, ich war schon einmal richtig verliebt und ich hätte diesen Mann niemals gehen lassen, wenn er es nicht gewollt hätte und es besser für ihn gewesen wäre. Es war nötig, er brauchte es. Eine andere Frau, eine andere Liebe. Ich hätte ihn umgebracht und war viel zu stark für ihn. Als wir uns kennenlernten, war ich gerade mal achtzehn und er war Ende zwanzig. Das waren fast zwei komplett unterschiedliche Welten, aber wir haben uns sehr gut verstanden. Er hat einer Frau nachgetrauert, die nur mit ihm gespielt hatte und verteufelte gerade alle weiblichen Personen, die ihm über den Weg liefen. Bis ich dann kam und da war es um ihn geschehen. Wir haben viel miteinander gesprochen, meistens habe ich nur zugehört und er hat geredet. Es war nötig, er brauchte es und war sehr dankbar dafür. Wir verliebten uns, er sich später als ich mich und es lief alles gut und wir waren eigentlich recht glücklich, aber er konnte nicht länger mit mir leben. Er hat mich verlassen. Heute sind wir gute Freunde, er weiß, wann und wo er mich finden kann und wenn er jemanden braucht, dann bin ich da.“ Sie nahm einen Schluck ihres Cocktails.
„Warum hat er Dich verlassen?“
„Weil er mich geliebt hat. Sie Liebe war zu stark und zu unerbittlich. Für ihn. Er war es nicht gewöhnt, dass ihn jemand so sehr liebt, ohne Ansprüche zu stellen, ohne etwas zu fordern. Das hat ihn fertig gemacht. Er kam damit nicht klar und das war für mich in Ordnung.“
„Es war einfach in Ordnung für Dich? Hat es nicht wehgetan?“
„Doch. Es hat weh getan und ich habe mir die Augen ausgeheult und gewünscht, es wäre alles nur ein böser Traum und nicht wahr. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn liebe und nicht verlieren will, aber da konnte man nichts machen. Ich hätte ihn nicht halten können, selbst wenn ich es gewollt hätte.“
„Du wolltest nicht?“ Es musste für Daniel mehr als komisch klingen.
„Nein, ich wollte nicht. Es mag unverständlich sein, aber ich wusste, dass ihn das umbringen würde. Er kam schon nach wenigen Monaten damit klar, dass ich war, wie ich eben so bin und wie sollte er es dann Jahre oder gar ein Leben lang mit mir aushalten? Die Trennung war das beste und das wusste ich und das habe ich auch akzeptiert. Weißt Du, wenn man jemanden wirklich von ganzem Herzen liebt, dann lässt man ihn gehen, wenn es sein muss. Und es musste sein.“ Sie sah ihn. Daniel blieb stumm und schien nachzudenken. Er verstand es nicht. Aus Liebe Schluss machen, den Menschen verlassen, den man liebte. Was war das? Mit wem sollte man dann sein Leben verbringen? Mit jemandem, den man nicht leiden konnte, weil nur Hass die beiden zusammenhielt?
„Ja, manche Menschen bleiben wirklich zusammen, weil sie sich hassen und ohne diesen tiefen Hass nicht sein könnten. Wenn sie getrennt sind, fehlt ihnen etwas ganz Wichtiges. Sie können nicht miteinander sein, weil sie sicht mögen und es ständig Streit und böse Worte gibt, aber sie können sich auch nicht trennen, denn dann fehlt etwas. Es ist nicht leicht, so etwas zu verstehen. Wahrscheinlich muss man so etwas leben, damit man versteht.“
„Hast Du so gelebt?“ Sie verneinte. So leben, das wäre nichts für sie. Das würde sie umbringen, denn sie würde selbst den Menschen, den sie am meisten hasste irgendwann lieben und zum Leben brauchen.
„Gibt es jemanden, den Du hasst?“ Eine gute Frage und Ivena wusste es nicht. Jemanden hassen, wirklich aus tiefstem Herzen hassen, das bedeutete, dass man ihn vormals geliebt hatte. Genauso stark, wie man ihn jetzt hasste und das gab es einfach nicht in ihrem Leben. Zu den Menschen, die sie liebte, hatte sie ein sehr gutes Verhältnis und die anderen waren ihr egal.
„Hass ist verletzte Liebe, Daniel. Und auch wenn meine Liebe verletzt wurde, so konnte ich damit umgehen und mich an die schönen Zeiten erinnern und ich habe mit den Menschen gesprochen und sie haben mir gesagt, warum sie meine Liebe verletzt haben und ich habe es verstanden. So wandelte sich die Liebe in Liebe.“ Als sie seinen Blick sah, musste sie lachen.
„Okay, ich versuche mal, das in einigermaßen verständliche Worte zu fassen.“ Und sie erklärte. Liebe war niemals einfach nur Liebe. Liebe war etwas, das man nicht beschreiben konnte, weil man die Liebe eingequetscht und beschnitten hätte, hätte man sie mit anderen Worten beschrieben. Es war ein Gefühl und ein Zustand und es war gleichzeitig noch so viel mehr, das man gar nicht ausdrücken konnte. Es war Liebe. Das brauchte keine Umschreibung und keine Erklärung. Es brauchte nur sich und es bedingte sich durch sich selbst. Aber Liebe war auch nicht immer gleich Liebe. Liebe war facettenreich und unterschiedlich. Sie war unnahbar, ungreifbar, für jeden erreichbar, keinem Untertan. Sie mordete und gebar, sie lebte und starb, sie weinte und sie lachte zur gleiche Zeit. Man liebte verschiedene Personen zur gleichen Zeit auf ganz unterschiedliche Art und Weise und keiner durfte sich benachteiligt oder gar bevorzugt fühlen, denn jeder hatte seine eigen Liebe, die ihm zuteil wurde und die er auch vergeben durfte. Die Liebe der Eltern zu ihrem Kind hatte etwas Besorgtes und Grenzenloses. Die Liebe zur besten Freundin hatte etwas Intimes und Helfendes. Die Liebe zu seinem Partner war verletzend und lebensnotwendig. Die Liebe zu Freunden war lustig und frei. Die Liebe zum Haustier war kuschelig und warm. Liebe war Liebe. Sie war nicht mehr, sie war nicht das, was man ihr immer andichtete. Nicht das Große, was Shakespeare aus ihr machte. Nicht das Verzweifelte, das Goethe verwendet hatte. Sie war nicht so vertraut wie bei Schiller und nicht so abhängig wie bei Hesse. Sie tanzte nicht, wie die Musik es beschrieb und sie weinte nicht so bitterlich, wie es auf den Friedhöfen geschah. Trostlos wie verregnete Herbsttage, kalt wie der unerbittliche sibirische Winter, sprunghaft wie die ersten Schmetterlinge im Frühling und tödlich wie die sengende Sommersonne der Wüste, das war Liebe. Sie hatte alles in sich und gleichzeitig barg sie nichts. Sie war nie das, was man eigentlich gesucht hatte und mehr, als man je zu finden gehofft hatte.
„Es ist Liebe, Daniel, mehr nicht.“ Ivena trank ihren Cocktail aus und Daniel starrte sie an. Er schien nicht zu blinzeln. Fast hätte man eine kleine Rauchwolke über seinem Kopf schweben sehen können, so sehr schien er nachzudenken über Ivenas Worte und verzweifelt zwischen den Zeilen zu lesen. Aber es gab nichts zwischen den Zeilen. Es gab nur ihre Worte, so wie sie waren. Mehr nicht.

Die Büchse der Pandora

Als die Büchse der Pandora geöffnet worden war, blieb das größte Übel zunächst in ihr zurück und wurde eingesperrt. Die Hoffnung durfte nicht unter die Menschen und mit ihnen spielen. Sie musste eingesperrt bleiben und zusehen, was um sie herum geschah, während sie in tiefster Gefangenschaft saß und sich ausmalte, was sie den Menschen sein, was sie ihnen antun könnte, käme sie nur endlich frei. Die Hoffnung war ein Übel und sie ist vielleicht das größte Übel von allen. Sie quält den Menschen wie nichts anderes. Sie gibt sich ihnen hin und macht sich selbst zum Geschenk. Wer sie aufgreift und annimmt, ist verloren. Denn sie spielt nur mit den Menschen und lässt zu, dass sie nicht Abschied nehmen, dass sie niemals zur Ruhe kommen, denn wer Hoffnung hat, der nimmt nicht Abschied von einem Menschen, der im Sterben liegt und wer Hoffnung hat ist nimmermehr ruhig und kann sich niederlegen und unbesorgt schlafen. Wer Hoffnung hat quält sich selbst von Tag zu Tag mehr, bis zu seinem eigenen Vergehen.