Montag, März 05, 2007

Die Bibelin

Predigt gehalten am 18.02.2007 in der Christuskirche zu Tutzing.


Wissen Sie, was die Welt gebraucht hat? 42 Frauen, die sich zusammensetzen bei Kaffee, Tee und selbstgebackenem Kuchen, tratschen, und zwischen dem Austauschen von Rezepten und Haushaltstipps die Bibel übersetzen. An dem Kaffeekränzchen dürfen zehn Männer teilnehmen. Natürlich die Ehemänner und besten Freunde, denn sonst gibt es ja Streit. Diese Missgunst von Männern, wenn mal eine Frau ein großes Projekt am Haken hat – das kann die beste Theologenehe vernichten.

Aber die 42 Frauen haben Großes vor. Eine neue Bibel, in der Frauen endlich zu ihrem Recht kommen und Männer hinten anstehen. Schließlich sind sie seit Anbeginn der Schöpfung an erster Stelle gekommen und hatten die besten Jobs. Damit muss jetzt Schluss sein und damit ist Schluss.

Die Bibel in gerechter Sprache ist geboren. Politisch korrekt wird Gott einer Geschlechtsumwandlung unterzogen und heißt jetzt „die Lebendige“. Auch die Jünger werden weiblich. Nicht alle, nein. Schließlich braucht man ja ein paar Männer, über die man sich aufregen kann. Nur Jesus muss ein Mann bleiben. Leider. Dabei wäre Jesa ein so schöner Name für ein Kind.

Aber mal im Ernst: Eine Frau wäre niemals so unsensibel. Ein Mann hingegen lehnt sich gegen die eigene Familie auf, er nimmt anderen Familien ihren Ernährer und fordert sie auf, ihm zu folgen und zieht einfach so durch die Welt und lässt sich von Frauen aushalten. Eine Frau würde das ja niemals tun! Wir Frauen sind einfach die besseren Menschen und jetzt ist unsere Zeit angebrochen.

Wir Frauen sind ja recht harmoniebedürftig. Nein, genauer gesagt geben wir vor, harmoniebedürftig zu sein und ihr Männer seid es, die jeden Streit provozieren. Ein kleines Beispiel aus dem Alltag: Er hat auch einmal eingekauft und kommt stolz aus dem Supermarkt nach Hause. Sie packt die Lebensmittel aus, während er auf das Lob wartet.

Sie: Was hast Du denn da eingekauft?

Er: Kartoffeln. Das hattest Du doch auf den Einkaufszettel geschrieben.

Sie: Aber nicht DIESE Kartoffeln. Ich wollte die Biokartoffeln.

Er: Auf dem Zettel stand nur Kartoffeln. Ich konnte nicht wissen, dass Du Biokartoffeln wolltest.

Sie: Die isst Du doch auch immer mit. Dann musst Du das wissen. Aber Du bist ja mit Deinen Gedanken immer woanders. Es interessiert Dich gar nicht, was ich möchte.

Er (macht schon ein besorgtes Gesicht, weiß ganz genau, was gleich wieder kommt und möchte die Lage beruhigen): Schatz, das ist doch gar nicht wahr. Ich wusste nur nicht, dass Du Biokartoffeln wolltest. Es tut mir leid. Das nächste Mal bring ich Biokartoffeln mit, okay?

Sie: Nächstes Mal. Das sagst Du immer und dann? Dann bringst Du doch wieder das Falsche mit. Weil es Dich einfach nicht interessiert.

(Spätestens jetzt würde jeder Mann liebend gerne fluchtartig das Haus verlassen. Denn jetzt vergisst die Frau gerne, dass sie eigentlich harmoniebedürftig ist und kramt uralte Geschichten aus.)

Sie: Das war schon immer so. Schon als wir geheiratet haben. Ich hab mir zum Geburtstag diesen Ring gewünscht, aber Dich hat das gar nicht interessiert.

Er: Du hast mir ein halbes Jahr zuvor, als wir an einem Schaufenster vorbeigegangen sind gesagt, dass der Ring ganz hübsch ist.

Sie: Siehst Du, ich hab es Dir gesagt, aber nein, Dich interessiert das ja nicht. Stattdessen schenkst Du mir diese Kette.

Er: Ich dachte, Du magst die Kette. Du trägst sie doch heute noch.

Sie: Ja, um Dir einen Gefallen zu tun. Wie konnte ich Dir nur heiraten? Warum habe ich nicht auf meine Mutter gehört?

Soviel zum Thema: Frauen sind harmoniebedürftig.

Jedenfalls sind wir das offiziell – und kein Mann sollte es wagen, das Gegenteil zu behaupten.

Zurück zur Bibel. Die ist jetzt also weiblich. Eine Bibelin sozusagen. Wir sehen einmal darüber hinweg, dass im hebräischen und altgriechischen Originaltext ganz andere Dinge stehen, als in der Übersetzung der Bibelin.

Denn die Übersetzerinnen waren doch geschockt, was sich Luther – dieser Wüstling! – erlaubt hat zu übersetzen. Schreibt er doch tatsächlich: „Die Alten“. Das kann nur ein Mann machen. Frauen schreiben da lieber – ungeachtet des Originaltextes: „die früheren Generationen“. Das klingt netter.

Ein kurzes Beispiel aus Lukas 1. Kapitel. „Zu der Zeit des Herodes, des Königs von Judäa, lebte ein Priester von der Ordnung Abija, mit Namen Zacharias, und seine Frau war aus dem Geschlecht Aaron und hieß Elisabeth. Sie waren beide fromm vor Gott und lebten in allen Geboten und Satzungen des Herrn untadelig. Und sie hatten kein Kind; denn Elisabeth war unfruchtbar und beide waren hochbetagt.“ Warum schreibt Luther hier eigentlich ganz gentlemanlike „hochbetagt“? Sonst ist er ja auch nicht so nett? Das haben sich die Übersetzerinnen auch gedacht. Und noch mehr, denn sie schreiben: „Es geschah in den Tagen des Herodes, als er König von Judäa war. Da lebte ein Priester namens Zacharias aus der Dienstabteilung des Abija und seine Frau, eine der Töchter Aarons, und ihr Name war Elisabet. Beide waren gerecht vor Gott, die lebten in allem nach den Gesetzen und der Gerechtigkeit der Lebendigen, ohne zu klagen. Sie hatten kein Kind, da Elisabet unfruchtbar war, und beide waren schon alt.“ Sie waren alt. Aber aus den Alten werden „die früheren Generationen“. Das erweckt ein wenig den Anschein, dass die Damen um jeden Preis etwas anderes als Luther haben wollten.

Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass Gott mitten in diesen Versen sein Geschlecht wechselt? Oder tut er das gar nicht und es handelt sich um zwei Gottheiten?

„Beide waren gerecht vor Gott, die lebten in allem nach den Gesetzen und der Gerechtigkeit der Lebendigen.“

Sind Gott und die Lebendige verheiratet? Der griechische Text sagt hier: qeoj und kurioj , also Gott und Herr.

Das letzte Beispiel ist Ihnen allen geläufig. In jedem Gottesdienst wird das Vater Unser gebetet.

„Vater unser im Himmel…“ beten wir.

Luther hat diese Anrede im Matthäusevangelium wie folgt übersetzt: „Unser Vater im Himmel…“

Damit ist er nah am Originaltext geblieben. In diesem fehlt zwar das Hilfsverb „sein“, aber das kommt öfter vor im Griechischen. Wörtlich übersetzt steht im Novum Testamentum Graece: „Vater unser, der im Himmel…“, ergänzt gehört die entsprechende Form von „sein“.

Die 42 Frauen und 10 Männer sind sich allerdings einig geworden, dass man mehr im Himmel braucht, als nur einen Vater.

„Du, Gott, bist uns Vater und Mutter im Himmel…“ Als Gebet mag diese freie Interpretation zwar möglich sein, als Anfang des Vater Unsers, der sich nicht einmal mit dem Originaltext deckt, ist diese Form zu weitläufig. Vater und Mutter. Wo ist die Trinität? Ist Gott nicht mehr alleiniger Gott, sondern hat eine Frau oder treue Gefährtin, die Göttin Mutter?

Eine weitläufige und wie Sie merken, gefährliche Interpretation, denn ein unaufmerksamer Leser sieht hier den Monotheismus in akuter Gefahr. Die Trinität muss auch angezweifelt werden. Vater, Sohn, Heiliger Geist – das ist Geschichte. Jetzt gibt es Vater, Mutter, Sohn und den Heiligen Geist.

Frauen haben also die Bibel übersetzt und nicht nur das. Politisch korrekt und emanzipiert ist sie jetzt und die erste Auflage war in kürzester Zeit vergriffen.

Aber wie weit darf man bei einer Übersetzung gehen? Natürlich ist jede Übersetzung auch ein Stück weit Interpretation des Textes. Dabei gibt es jedoch Grenzen.

Darf man aus Männern Frauen machen? Darf man etwas abschwächen, obwohl es viel krasser im Original steht? Darf man sogar den Sinn verändern?

Stellen Sie sich vor, in ein paar Jahren setzen sich wieder einige Personen zusammen, wieder mit dem Ziel, die Bibel zu übersetzen. Diesmal sind es allerdings besorgte Eltern, die gehört haben, was ihre Kinder im Religionsunterricht lernen. Daraufhin haben sie sich diese Bibel – oder auch die Bibelin – gekauft und gelesen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Bibel zwar ganz unterhaltsam ist, aber viel zu grausam. Sie übersetzen also und interpretieren und formulieren und schreiben und siehe da: Eine neue Bibel ist entstanden.

Der Pharao lässt nicht alle hebräischen männlichen Neugeborenen töten, sondern verteilt emsig Verhütungsmittel.

Hiob verliert nicht alles und wird krank, weil Gott eine Wette mit dem Teufel abschließt. Er hat ein Verhältnis mit seiner Magd, lässt sich ihretwegen scheiden, geht nach Jerusalem und gründet eine große Firma. Als stinkreicher Millionär setzt er sich bald darauf zur Ruhe.

Und auch Jesus wird nicht gekreuzigt. Er hat paar Probleme mit einigen Leuten und wird erschossen. Seine Gang aber – bestehend aus 12 tapferen Kämpfern – hat ihn mit einer kugelsicheren Weste ausgestattet, sodass Jesus überlebt. Das können sich die Kids viel besser vorstellen. Mit der Himmelfahrt ist das ja auch so eine Sache. Lösung: Das hat ein Junkie im Drogenrausch geschrieben.

Irgendwann wird man der Bibel ihren Sinn genommen und die Geschichten so verändert haben, dass sie keine Bedeutung mehr haben. Die Bibel wird nur noch ein Buch sein, das irgendwo in Regalen verstaubt.

Ist die Bibelin wirklich das, was die Welt gebraucht hat? Ich sage nein. Frauen haben bereits in der Bibel besondere Rollen. Waren es denn nicht die Frauen, die am Ostermorgen das leere Grab fanden, denen der Engel erschien und die die frohe Botschaft der Auferstehung verkünden durften? Das Leben Jesu und das Wissen um die Auferstehung sind die Basis unserer Kirche. Vorhin haben wir es gemeinsam gesungen: „ Die Kirche steht gegründet allein auf Jesus Christ, sie, die des großen Gottes erneute Schöpfung ist.“

Darauf gründet sie sich und wir Gläubigen vertrauen darauf. Das steht in der Bibel, da braucht es keine neue feministische Übersetzung. Was wäre denn gewesen, wenn die Frauen nichts erzählt hätten?

Es spielt keine Rolle, wie viele Frauen in der Bibel erwähnt werden. Viel wichtiger ist, von was die Bibel erzählt. Von Gott. Von seinem eingeborenen Sohn. Vom Heiligen Geist und von Menschen, die zweifelten, die suchten, die verfluchten und die zum Glauben und zu Gott fanden. Von der Barmherzigkeit Gottes, der Auferstehung Jesu und dem Beistand des Heiligen Geistes, dessen wir uns gewiss sein können.

Der Glaube an Gott ist das Wichtige und seine grenzenlose unbegreifliche Gnade. Nicht die Frage nach der Anzahl der erwähnten Frauen in der Bibel.

Wir sollten uns wieder auf das Wesentliche besinnen. Auf Gott und auf den Glauben an ihn.

Am Mittwoch beginnt die Passionszeit. Eine gute Zeit, um wieder einmal in sich zu gehen, zur Ruhe zu kommen und sich klar zu machen, dass Gott asexuell ist und der Glaube an ihn uns trägt. Ob wir männlich oder weiblich sind, Gott liebt uns.

Wunder machen Mut

Predigt gehalten am 19.08.2006 in der Christuskirche zu Tutzing.



„Rahn müsste schießen. Rahn schießt und – Tor!“ Eine Vorlage, das Erkennen einer Möglichkeit, eine genutzte Chance.

Liebe Gemeinde, als Wunder von Bern ist dieses Tor in die Geschichte eingegangen. Unter genau diesem Titel ist meiner Generation auch die Fußballweltmeisterschaft von 1954 bekannt. Es war ein großes Ereignis – damals.

Die diesjährige Weltmeisterschaft ist vorbei. Denken Sie noch daran? Reden Sie noch darüber? In meinem Freundeskreis wird noch immer von der WM gesprochen. Die Deutschlandfahnen wehen noch im Wind und wir sind immer noch stolz auf die Leistung unseres Teams und auf unser Land. Blicken wir doch noch einmal zurück.

Die WM im eigenen Land sollte Deutschland den vierten Titel bringen. Siegessicher gab es T-Shirts mit dem Aufdruck „Deutschland, Weltmeister 2006“ zu kaufen. Eine bekannte Band aus der Gegend landete einen großen Hit und man sang euphorisch: „´54, ´74, ´90, 2006“. Doch wirklich dran geglaubt hatte niemand. Nicht nach den Leistungen der Nationalmannschaft in den Spielen vor der WM. Nicht, nachdem der Bundestrainer lieber in Kalifornien wohnt, als in Deutschland. Nicht, nachdem es selbst kurz vor der WM so viele Veränderungen im Team gab.

Viele hatten die deutsche Mannschaft schon in der vorrunde ausscheiden sehen. Aber dann passiert das Unglaubliche. Kein Spiel wird verloren, das Achtelfinale erreicht, die Schweden besiegt. Die Stimmung ist großartig! Plötzlich glaubt man an das Team. An den Sieg. An Deutschland. Die Fahne weht stolz im Wind, jeder hat eine, jeder feiert. Doch dann heißt der Gegner Argentinien. Ob wir da auch siegreich sein werden? Die Anspannung ist deutlich zu spüren und die Hoffnungen auf das Halbfinale schwinden, als Argentinien in Führung geht. Das Spiel ist fast vorbei. Da sieht Klose seine Chance, schießt – Tor!

Sie kämpfen. Sie rennen über den Rasen, durch die Hitze, kämpfen, probieren, greifen an. Doch das Runde will einfach nicht ins Eckige.

Diese seltsame Stille, dieses bange Warten. Die Hoffnung, die Gebete. Elfmeterschießen. Ein Mann, der jeden Elfer verwandelt, so sagt der Reporter, soll als erstes für die Argentinier schießen und treffen. Die Stille wird noch lauter. Die Anspannung ist noch greifbarer.

Er nimmt Anlauf. Er schießt und – gehalten! Lehmann hält! Und er hält noch mal. Deutschland ist im Halbfinale.

Das Wunder ist perfekt. Diese Mannschaft, an die nicht einmal das eigene Land geglaubt hat, schlägt sich tapfer und kämpft sich mutig durch das Turnier.

Der dritte Platz ist es geworden. Ein Land feiert – und steht plötzlich hinter einer Mannschaft und einem Trainer, an die sie zuvor nicht geglaubt haben. Es ist das Wunder von Deutschland.

Liebe Gemeinde, begeben wir uns nun an den See Genezareth.

Petrus steht am Ufer. Er hat diesem Wanderprediger zugehört, der einfach in sein Boot gestiegen war und hinausgefahren werden mochte. Seiner Predigt hatte Simon gar nicht folgen können. In Gedanken war er bei dem miserablen Fang der vergangenen Nacht. Wieder nichts. Wieder eine Nacht auf dem kleinen Boot verbracht, gefroren, die Augen waren fast zugefallen und nur mühsam hatte er sich wach halten können. Für nichts und wieder nichts. Wie sollte er nur seine Familie ernähren?

Der Fremde kommt auf ihn zu. Ein junger Bursche, braungebrannt, ja, der sorgt sich um nichts. Zieht umher, predigt hier uns da irgendwas und erbettelt sich sein Essen. Petrus ist gereizt und da fordert ihn dieser Fremde auch noch auf, noch einmal hinaus zu fahren. Am liebsten hätte Petrus ihn angeschnauzt: „Du hast doch gar keine Ahnung vom Fischfang! Das ist nicht so einfach, wie Du Dir das vorstellst. Und am Tag bringt das schon gar nichts. Da fliehen die Fische vor der heißen Sonne in die kühle Tiefe!“

Aber er sagt nichts, sondern sieht den Fremden nur an, wie er da steht und ruhig seinen Blick erwidert. Nur schwach protestiert er: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Aber auf Dein Wort will ich die Netze auswerfen!“ und Petrus fährt doch bei Tag auf den See hinaus.

Ein Wunder geschieht, denn die Netze füllen sich und beginnen unter der Last der Fische sogar zu reißen.

Petrus kann es nicht fassen. Er sieht den Fremden am Ufer stehen und muss zu ihm. Er springt aus dem Boot, schwimmt an Land und wirft sich nieder.

„Herr, geh weg von mir, ich bin ein sündiger Mensch!“ Denn er ist so erschrocken über diesen Fang.

Der Fremde aber beruhigt ihn: „Fürchte Dich nicht, von nun an sollst Du Menschen fangen!“, sagt er und Petrus steht auf und folgt ihm zusammen mit seinen Freunden Jakobus und Johannes. Er wundert sich nicht einmal über den seltsamen Auftrag, Menschen zu fangen.

Das Wunder hat ihn gefesselt und überzeugt. Egal, wie viel Ahnung der Wanderprediger vom Fischfang hat, er kann andere Dinge. Er kann Wunder bewirken und Petrus will noch mehr sehen.

Liebe Gemeinde, „Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen!“, so klagt Simon Petrus in der Geschichte in Lukas 5. Eine ganze Nacht, die kühl, dunkel und vielleicht sogar regnerisch war, hat er mit seinen Gefährten auf dem See Genezareth verbracht und vergeblich die Netze ausgeworfen. Ohne Maschinen, ohne technische Hilfe. Wie enttäuschend muss diese Nacht gewesen sein und wie viel Sorge um den Lebensunterhalt hat sie mit sich gebracht?

Ist es denn heute anders, wenn die Fischer aus den umliegenden Orten auf den See hinaus fahren? Viel verbessert hat sich nicht. Natürlich, die Boote sind stabiler gebaut, komfortabler ausgestattet, haben sogar einen Motor und die Technik hat das Einholen der Netze erleichtert. Ein harter Job ist es dennoch. Wenngleich die Fischer nicht wie bei Lukas die ganze Nacht auf dem See verbringen, so fahren sie doch früh morgens schon, in der Dämmerung hinaus, in der Hoffnung auf einen guten Fang. Im Sommer zur Badesaison sind sie sogar noch früher auf dem See. Sie wollen den Schwimmern, die den Sand aufwirbeln und der Sonne, deren heiße Strahlen die Fische in die kühlen Tiefen des Sees zwingen, zuvorkommen.

Leicht ist das Fischen nicht. Wahrscheinlich würden die Fischer aus den Orten hier genauso erschöpft und lustlos auf Jesu Aufforderung reagieren, wie Simon Petrus. Aber vielleicht würden sie genau wie er trotz der Müdigkeit noch einmal hinausfahren und die Netze auswerfen. Auf sein Wort hin.

„Und sie verließen alles und folgten ihm nach.“ So endet die Geschichte vom Fischzug Petri. Wie soll man sich das vorstellen? Vom Abschied selber ist schließlich nichts überliefert. War es denn für Petrus und seine Gefährten so einfach? Alle Freunde, die Heimat, die Familie zu verlassen und einem Wildfremden zu folgen, erfordert ein gewaltiges Maß an Mut und Vertrauen. Das Altbekannte und den sicheren Schutz der Familie zu verlassen, in eine unbekannte Zukunft zu gehen. Was hat Petrus seiner Familie zum Abschied gesagt? Hat sie verstanden, warum er geht? Wie hat seine Familie darauf reagiert? Kann sie sich denn ohne ihn ernähren? Vielleicht helfen ihnen Freunde. Aber die anderen Fischer, Jakobus und Johannes, gehen auch einfach weg. Wie viele Fischer leben denn in dem kleinen Dorf am See Genezareth? Wie groß ist wohl die Chance, dass die Netze voller werden und auch die zurückgelassenen Familien mit ernährt werden können?

Das alles kümmert Petrus nicht. Er geht einfach weg. Sollen die anderen doch alleine zurecht kommen. Er geht. Schließlich kann er sich selber um Essen kümmern und sieht einmal etwas von der Welt. Wenngleich es damals verglichen mit heute doch sehr begrenzte Möglichkeiten waren und die Welt noch kleiner schien. Simon zieht mit ein paar Freunden los. Simon Petrus, der Aussteiger.

Vieles an seinem Verhalten ist mir nicht klar. Doch manche Dinge sind schon nachvollziehbar. Der Wunsch zu gehen, alles stehen und liegen zu lassen, ist doch öfters mal da.

Wenn die Pflichten uns zu erdrücken scheinen und wir glauben, diese Aufgaben niemals bewältigen zu können.

Wenn wir nach einem Streit zu stur und zu stolz sind, uns zu entschuldigen.

Wenn es ein scheinbar unlösbares Problem gibt.

Dann geht es uns doch auch so, dass wir gerne gehen und alles hinter uns lassen möchten.

Nachfühlen kann ich Simons Entschluss also doch. Aber zwischen uns beiden ist doch ein Unterschied. Meine Mutter sagte früher immer, wenn ich wutentbrannt und Türe knallend aus dem Zimmer gerannt bin: „Wer raus geht, muss auch wieder rein kommen!“ Sie hatte recht. Das müssen wir doch alle.

Wieder rein kommen. Uns dann doch dem Konflikt stellen. Schließlich ist dieses Weggehen, einem Konflikt aus dem Weg gehen zu wollen, sinnlos und irgendwie auch feige.

Wer, liebe Gemeinde, hat denn Petrus überhaupt gesagt, dass er gehen soll? Niemand. Er geht freiwillig. Denn dieser Fremde, Jesus, hat nie gesagt, dass Petrus ihm folgen soll. Er hat nur gesagt, dass Petrus sich des Wunders wegen nicht fürchten muss und von nun an Menschen fangen wird. Wie und wo, davon ist gar nicht die Rede. Schließlich hätte Petrus auch in seiner Heimat, in dem Fischerdorf und den Nachbardörfern am See Genezareth Menschen fangen können. Überall dort hätte er erzählen können, was passiert war. Aber nein. Das tut er nicht. Ist diese Möglichkeit der unverhofften Freiheit von allen Verpflichtungen und Zwängen so verlockend, dass er einfach weggeht?

Ich weiß nicht, warum Petrus das tut. Warum er einfach alles hinter sich lässt. Es muss etwas mit ihm passiert sein. Etwas muss Petrus überzeugt, ihn mitgerissen haben, dass er bereit ist, alles aufzugeben und in eine unbekannte Zukunft zu gehen. Petrus wäre sicherlich nicht einfach einem Wildfremden gefolgt. Nur, weil dieser gesagt hatte, dass die Fischer noch einmal hinausfahren und die Netze auswerfen sollen. Nur, weil Petrus sich dachte: „Eigentlich hast Du Fremder ja gar keine Ahnung vom Fischfang. Es ist sinnlos am helllichten Tag auf den See hinaus zu fahren und die Netze auszuwerfen.“ Nur, weil er weiß, dass er nicht gefangen hat und mit leeren Händen nach Hause kommen würde und sich deshalb sagt: „Aber schaden kann es ja nicht. Ob ich jetzt nach Hause gehe und die enttäuschten Gesichter meiner Familie sehe oder noch einmal hinaus fahre, ist egal.“

Also fuhr er hinaus und warf die Netze aus und – siehe da! Fische! Jede Mensche Fische! Ein Wunder! Wie ist das nur möglich?

Ja, das war ein Wunder und Petrus freute sich, dass er seiner Familie etwas zu essen bringen konnte und dass dieser Fang so reichhaltig war, dass er noch sehr viel verkaufen konnte. Der beste Fang des Jahres!

Aber dann stutzt Petrus. Es ist Tag, die Sonne brennt heiß vom Himmel und die Fische sind nicht in den Tiefen des Sees verschwunden. Das ist seltsam. Ein richtiges Wunder eben und da am Ufer steht noch der Mann, der sagte: „Fahre hinaus!“ Was kann dieser Mann denn noch? Wer ist er? Petrus ist magisch angezogen von ihm und hat gleichzeitig Angst. Woher wusste der Fremde, dass dort so viele Fische sein würden?

Petrus muss zu ihm, muss sich bei ihm bedanken, muss wissen, wer der Fremde ist. Er will herausfinden, was noch alles möglich ist. Petrus folgt also nicht einfach einem Wildfremden. Er folgt, weil er etwas wunderbares erlebt hat. Er folgt dem Wunder.

Petrus folgte Jesus ohne zu fragen, wohin. Zwar wissen wir heute, wohin dieser Weg führte und wie beschwerlich er war. Aber Petrus wusste das nicht. Er vertraute. Er hatte gesehen, welches Wunder Jesus gewirkt hatte und das allein hatte ihn überzeugt und ihm Mut gemacht. Das Wunder hatte ihn so sehr begeistert, dass er dem Mann, der allem Anschein nach dafür verantwortlich war, folgen musste. Egal, wohin es gehen würde.

Aber wäre Petrus auch gefolgt, wenn Jesus nur gesagt hätte: „Folge mir!“? Wären wir gefolgt? Es ist sicherlich leichter zu folgen, wenn man die Macht Jesu erlebt und das Wunder gesehen hat.

Heutzutage wünschen wir uns oftmals solche Ereignisse und übersehen dabei meist tatsächliche Wunder.

Wenn ein Mensch einen schweren Autounfall nahezu unverletzt überlebt.

Wenn die Ärzte nach einer schweren Operation den Angehörigen keine Hoffnung mehr machen können und der Patient dann doch, wie durch ein Wunder aufwacht und es ihm gut geht.

Oftmals werden diese Wunder dem Glück zugeschrieben. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass dies Gottes Wille und Gottes Wunder sind.

In manchen Gesprächen werden Stimmen laut, die fragen: „Wo ist denn Dein Gott? Hast Du ihn schon mal gesehen? Wie kannst Du sagen, dass es ihn gibt und an ihn glauben, wenn Du ihm nie begegnet bist?“

Diese Menschen zu überzeugen ist nicht einfach und das sollten wir auch gar nicht versuchen. Zeigt man ihnen eine Kirche, so ist es doch nur ein Gebäude. Liest man ihnen aus der Bibel vor, so ist es doch nur ein Buch. Von Menschen geschrieben. Kein Beweis. Kein Gott. Nicht für Zweifler.

Für mich jedoch erzählt die Bibel von Gott und seinen Wundern. In ihr finde ich Trost und Halt. Gott ist immer da. Allmächtig und allgegenwärtig. Da braucht es keine großen Wunder. Er offenbart sich mir auch – und vor allem – in den kleinen und scheinbar alltäglichen Dingen.

Ein Zweifler mag das anders sehen. Man kann ihn nicht zwingen, an Gott zu glauben. Man kann ihm nur verschiedene Wege zeigen. Zu Gott wird er aber auf seinem eigenen Weg finden.

Die Deutschen haben durch eine wundersame WM wieder zu ihrer Nationalmannschaft und ihrem Land gefunden,

Petrus, Jakobus und Johannes haben durch einen wundersamen Fischzug zu Gott gefunden.

Die Fischer hier auf dem See haben sich vielleicht auch schon „Petri Heil“ gewünscht, sind hinaus gefahren auf den See und haben ein Wunder erlebt und so zu Gott gefunden.

Welches Wunder hat Sie zu Gott geführt?

Manchmal ist ein Augenblick des Innehaltens wichtig. Sich des Wunders zu erinnern, lässt einen in Zeiten des Zweifelns wieder hoffen und gibt jedem von uns den Mut, loszugehen. Den unbekannten und wundersamen Weg – Gott folgend – zu beschreiten.