Sonntag, Januar 11, 2009

Seine Schönheit

Sanft strich er über ihr weiches, langes, schwarzes Haar. Wie friedlich sie wirkte. So unschuldig und zufrieden. Schlafend lag sie auf dem Bett, das schwarze Samt schimmerte um ihre helle Haut herum und die Bettdecke küßte sie liebevoll und streichelte sie. Eine Schönheit lag vor ihm, um die ihn viele beneidetet hätten. Viele hätten sie sicherlich gerne in ihrem Bett schlafend liegen sehen. Aber sie gehörte ihm. Alles an ihr war sein. Ihre Haare, ihre Haut und der sanfte Duft nach teurem Parfum. Ihre Liebe gehörte ihm, ihr Herz und die leidenschaftlichen Blicke. Ihre liebevolle Stimme und ihre Schreie. Sie war ganz sein - und würde es immer bleiben.
Vorsichtig erhob er sich, er wollte ihren Schlaf nicht stören. Nebenan musste noch einiges getan werden. Die Kissen mussten wieder auf dem Sofa drapiert werden, aufgeschüttelt und akkurat angeordnet. Das Sofa hatte nichts von ihrem Spiel abbekommen. Aber es war ein wenig verschoben und er zog es zurecht. Die Vase, das war sehr schade, war zu Bruch gegangen. Er hob die Scherben auf und sein Blick fiel auf den Stempel. Wahrscheinlich war sie teuer gewesen. Warum war sie auch so wild gewesen? Und die Lilien, die einmal aus ihr Wasser genippt hatten, waren zertreten und hatten Flecken auf dem Parkett hinterlassen. Ob es ausreichte, mit einem nassen Lappen darüber zu wischen? Ohne Eile sammelte er die Scherben und die kaputten Blumen auf und nahm einen Lappen, mit dem die Spuren des kleinen Malheurs beseitigte. Die Decke, die immer über der Sessellehne lag, hatte leider einen unübersehbaren Fleck Körperflüssigkeit aufgefangen. Die Waschmaschine würde aber zu lange dauern. So viel Zeit hatte er nicht. Andererseits konnte er sie so auch nicht liegen lassen. Ob er sie mitnehmen sollte? Es würde sicherlich kein Problem sein. Das Glas musste noch abgespült und poliert werden. In welchem Schrank stand es nur immer? Nicht in einem der Küchenschränke. Vielleicht in der Vitrine? Er musste einige Zeit suchen, bis er den richtigen Platz gefunden hatte. Die letzten Wassertropfen in der Spüle wischte er mit einem Geschirrtuch weg. Dann betrat er das Badezimmer und putzte akribisch genau die Badewanne, das Waschbecken und den Fußboden.
Schließlich packte er den Putzlappen ein, zusammen mit der Kaschmirdecke aus dem Wohnzimmer - die Waschmaschine wäre wohl keine gute Idee dafür gewesen. Eine Stunde hatte er gebraucht, um alles zu säubern und an den richtigen Platz zu stellen. Hatte er etwas vergessen? Das Sofa, die Vase, die Küche... natürlich, der Mülleimer! Eilig griff den Müllbeutel aus der Küche, knotete ihn zu und packte ihn ebenfalls in die schwarze Sporttasche. Wo waren nur frische Müllbeutel? Es würde auffallen, wenn der Mülleimer keinen Müllbeutel enthielt! Endlich hatte er welche gefunden. Jetzt musste er sich beeilen. Ein letzter Blick, alles perfekt.
Leise schlich er sich ins Schlafzimmer und blickte auf seine Schönheit. Er zog die Bettdecke ein Stück zurecht und fuhr über das schwarze Samt der Bettwäsche, das er durch die Handschuhe nicht spüren konnte. Am liebsten hätte er sie geküßt, aber das ging nicht.
Dann verließ er schweigend im Dunkel der Nacht das Haus. Zwei Straßen weiter stand sein alter Nissan. In ihm stieg wieder diese Leere auf und diese Kälte, als er nach Hause fuhr. Wie jedes Mal, wenn er es getan hatte und auf dem Heimweg war. Unterwegs entsorgte er Decke, Müllbeutel und Handschuhe.
Seine Wohnung war leer, wie immer. Der Anrufbeantworter blinkte nicht. Fast war er enttäuscht darüber, aber es war besser, jetzt alleine zu sein. Im Kühlschrank war noch genug Bier, um die Gedanken zu vertreiben. Mit einem Bier in der Hand, drückte er auf die Wiedergabetaste des Anrufbeantworters. Ihre Stimme schallte hart und im gewohnten Befehlston durch den Raum: "Komm heute Abend her. Ich will, dass es wie ein Einbruch aussieht. Schleich Dich ins Haus und überfall mich. Das Geld wird in der Nachttischschublade liegen, wie immer. Räum auf, bevor Du gehst."