Freitag, Dezember 31, 2004

Verzeihen - III

Der erste Tag des Jahres 2002.
Natürlich war ich wieder in der Kirche. Ganz klar. Er war mein Job, meine Aufgabe, außerdem wollte ich mir diesen Gottesdienst nicht entgehen lassen.
Er war auch wieder da, das war halt sein Job, und begrüßte mich derart überschwenglich, dass mir schlecht wurde. Er drückte sich an mich, rieb seinen Unterleib an mir und laberte mir irgendwas ins Ohr, wie ein gutes neues Jahr, ich soll auch mich aufpassen und so ne Scheisse. Ich riss mich los. "Danke, Dir auch!". Mehr sagte ich nicht, mehr wollte ich nicht mehr sagen. Schließlich stellte ich mich vor die Kirchentüre und begrüßte die nur langsam eintrudelnden Besucher.
Wir setzten uns nebeneinander, natürlich, ich bekam ihn nie los. Sehnlichst wünschte ich mir, mein bester Freund würde kommen und sich neben mich setzen, aber er kam nicht. Ich musste den Gottesdienst durchstehen. Er saß neben mir, drückte sich an mich, flüsterte mir ab und an etwas ins Ohr, wovon die Hälfte pervers war. Irgendwann geht jeder Gottesdienst zuende und draußen, vor der Kirchentüre stand mein bester Freund und ich fiel ihm sehnsüchtig um den Hals. Ich kümmerte mich nicht weiter darum, dass ich dem Mesner hätte helfen können beim Aufräumen, das konnte er auch allein. Ich fiel meinem besten Freund erleichtert um den Hals und küßte ihn und wir beide spielten das perfekte glückliche Paar vor. Es hat funktioniert - zumindest dachte so ziemlich jeder andere, das er mein Freund sei.
Unser Mesner allerdings war wütend, er warf uns einen bösen Blick zu, war aggressiv und rief mich irgendwann. Ich blieb in den Armen meines besten Freundes und fragte von diesem sicheren Ort aus: "Was ist denn?" Ich weiß nicht mehr, was ich tun sollte, aber es war etwas, was nicht wichtig, außerdem war es nur ein Vorwand und ich konnte ihm auch die danach gestellte Frage beantworten, ohne zu ihm zu gehen.
Als der Mesner und ich uns das nächste Mal sahen, merkte ich sofort, dass er immer noch sauer war und hatte Angst. Ich versuchte so normal wie möglich zu sein, aber bei seiner Laune war das fast unmöglich. Schließlich ließ er die Katze aus dem Sack.
"Das war dein Freund, oder? Ey, mach keinen Scheiß, und lass Dich von dem nicht ins Bett zerren, hörst Du? Geh nicht mit dem ins Bett! Heb Dich für mich auf!"
Genau, und sonst hatte er keine Wünsche odeR? Ich lachte spöttisch und sagte, dass ich das selber entscheiden würde. Er wiederholte das mehrmals.
Ich merkte, dass er es ernst meinte.
Es ging weiter. Wenn ich in die Kirche kam warenwir immer allein. Ich stellte mich an die letzte Kirchenbank, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Er stellte sich hinter mich, links und rechts einen Arm neben mir und rieb sich an mir. Ich hatte Angst, wusste nicht, was ich tun sollte. Er war größer und mit Sicherheit stärker als ich.
Sobald ich konnte entfloh ich.

Es ging weiter und unsere Gespräche gingen immer mehr in solche Richtungen.
Intimrasur. Machst Du's? Wieso? Wieso nicht? Warum? Ich hab das mal gemacht.....
Oralverkehr. Ich würde es mal so gerne mit einer Frau auf Französisch machen. Ich will wissen, wie eine Frau schmeckt.
Immer so weiter. und zwischendurch die Frage, ob ich nun schon mit meinem Freund geschlafen hätte, weil ich das bitte nicht tun sollte!
Er umarmte mich, er küsste mich, ich hatte Angst. Vor ihm.
Ich sprach nicht darüber... Würde man mir überhaupt glauben? Und war das denn schon "schlimm genug"?
Und dann kam Ostern....

Donnerstag, Dezember 30, 2004

Borderlinerin

Ein schweres Eingeständnis und ein schweres Anerkennen der Wahrheit und der "Diagnose". Es gilt wohl als Krankheit, wird gerne mit den Suchtkrankheiten in eine Schublade gesteckt und genauso wirst Du auch angesehen, wenn Du es sagst.
Als ich angefangen hatte, war mir nicht bewusst, in welchen Sog und Teufelskreis mich mein Handeln führen würde.
Begonnen hat es zu einer unbestimmten Zeit. Wahrscheinlich gehörten Dinge zum Anfang, die ich gar nicht so empfand.
Mit 10 Jahren stand ich mal in der Küche und war von einem langen glatten Küchenmesser mit scharfer Spitze begeistert. Woher ich diese Faszination hatte, weiß ich nicht. Aus Filmen vielleicht? Jedenfalls nahm ich dieses Messer und setzte es über dem Herzen an und übte einen leichten Druck aus. So sehr schmerzte es gar nicht, dennoch erwachte ich nach kurzen Augenblicken und legte das Messer leicht schockiert weg. Was hatte ich da getan?
Im Gymnasium unterlag ich die ersten Jahre einem ungeheurem Gruppenzwang, aus dem ich mich nur schwer lösen konnte. Das führte dazu, dass ich mit den älteren Mädchen aus meiner Klasse heimlich rauchte - mit elf Jahren.
Ich war Pendlerin und gründete mit ca. 13 Jahren eine Clique, bestehend aus drei Jungen und mir. Die Jungs klauten, soffen und rauchten und ich hielt mich ans gelegentliche Rauchen, dekcte die Jungs und passte auf sie auf. So ne Art Big Mama. Aber sie genossen es.
Das Nächste war dann ein Junge, der mich anbaggerte und mit mir drei oder vier Tage ging, um an eine Freundin ranzukommen, die ihm aber schon lange versuchte klarzumachen, dass sie ihn nicht wollte.
Es hat wehgetan. Vor allem die Schlacht danach. Er ließ mir durch meine Clique diverse Drohungen ausrichten, die mich nicht störten, da ich ihm berechtigterweise keinen Glauben schenkte. Das Fieseste allerdings war der Kommentar, er hätte Angst, dass ich ihn überollen würde.
Nun traf es sich, dass wir ihn einmal in der S-Bahn trafen und ich ging zu ihm hin. Da saß er, klein, verschüchtert, ein Feigling.Als ich von ihm ging und wieder bei meinen Leuten saß, war ich sauer und verletzt. Ich krempelte meinen Ärmel hoch und ritzte mir mit einem recht scharfen Ring in meinen linken Arm.
Damit hat es angefangen und es ging immer fröhlich weiter. Was auch war, was ich für Probleme hatte und was mir auch wehgetan hat, ich hab zur Schere, Negelfeile, zu Messern und Ringen gegriffen, bis ich mir Rasierklingen kaufte, die beste Art zu ritzen.
Ich ritze mir den linken Arm auf und die Oberschenkel und versuchte ungefähr mit 17 das erste Mal, damit aufzuhören, doch es ging nicht. Wenn etwas war, griff ich zur Klinge.
Das Blut befreite, es ging mir besser - Placeboeffekt, es hilft nämlich gar nichts - ich fühlte mich weniger schuldig, reiner, der Schmerz war kurz weg.
Als ich dann meinen besten Freund kennenlernte, hörte ich auf.
Doch dann begann ein Horrortrip und ich ritzte mir insgesamt dreimal den Bauch auf. Das bis jetzt letzte Mal war im Juli und das Schlimmste. Ich kam von meiner Anwältin nach Hause, hatte gerade die Akte mit den Aussagen zu einem Ermittlungsverfahren wegen sexueller Nötigung gelesen und war zutiefst verletzt. ICh nahm eine frische Klinge und ging auf Toilette. Blind und ohne Gefühle zog ich die Klinge über die Haut an meinem Bauch.
Als ich wieder zu mir kam sah ich entsetzt auf das Blutbad auf meinem Körper.

Ich bin Ritzerin, Borderlinerin. Und es hat lange gedauert, bis ich das eingesehen habe.

Mittwoch, Dezember 29, 2004

Verzeihen - II

Er war 49 Jahre alt, als ich ihn kennenlernte, aber das wusste ich nicht einmal. Oder ich hatte nicht darauf geachtet. Die Bewerbungsunterlagen hatte ich nur flüchtig in wenigen Minuten vor dem Vorstellungsgespräch durchgelesen und es war nichts hängengeblieben. Ich kam gerade aus der Schule, war genervt, hatte familiäre Sorgen und wollte nach Hause. Zu diesem Zeitpunkt war ich 18 Jahre alt, hatte einen festen Freundeskreis und begann gerade mein Leben zu genießen, weil mir jemand diesen Weg wies.
Er kam rein und setzte sich und ich war gar nicht angetan von ihm. Auf mich wirkte er ungepflegt, verraucht und unsympathisch. Dennoch hörte ich so neutral wie möglich zu, was er auf die gestellten Fragen antwortete und beobachtete ihn.
Später ist mir dann erst aufgefallen, dass er perfekter nicht hätte antworten können. Alles schien wie einstudiert und er sagte genau das, was wir hören wollten. Ein Kirchenvorstand. Unbedarft, lauter ehrenamtliche Laien (mit Ausnahme der beiden anwesenden Pfarrer), die fraßen, was er uns vorsetzte.
Auch seine Frau schien nett zu sein und diese perfekte Ehe, seit 25 Jahren schon und sie liebte ihn noch immer! Das war doch irgendwie genau das, was wir brauchten.
Als er ging blieben wir geblendet zurück und die ersten zaghaften Zweifel wurden tobend zurückgewiesen. Nein, dieser sympathische Mann war mit Sicherheit kein (trockener) Alkoholiker. Er war einfach eine Frohnatur, wie er ja auch selber erklärt hatte und warum sollte ein Mensch nicht so sein?

Einstimmig lag der Beschluss vor: Einstellen.
Ich gebe ehrlich zu, ich habe versagt in diesem Moment und in dieser Abstimmung. Ich habe nicht nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, sondern habe mich einfach der Mehrheit angeschlossen.

Er trat also im November seinen Dienst bei uns an, als Hausmeister und Mesner und erledigte seine Aufgaben zu unserer Zufriedenheit. Ich war gebeten worden, ihm anfangs ein wenig zu helfen, ihn einzuweisen und die Unklarheiten zu beseitigen. Das tat ich, denn zu diesem Zeitpunkt arbeitete ich seit 5 Jahren ehrenamtlich in dieseer Gemeinde und kannte mich aus.
Er schien dankbar für die freundliche weibliche Hilfe und nutze sie aus.
Schnell duzten wir uns, schnell hielt man uns für ein gutes Team, das seine Arbeit erledigte.
Er hatte einen komischen Humor, der immer etwas unschwellig und pervers war und so waren auch seine Witze. Der ewig gleiche Spruch, egal um was es dabei ging: "Von hinten kostet Hundesteuer!". Perverse Witze und zahlreiche offene und wenn andere Leute anwesend waren, versteckte Anzüglichkeiten. Es war widerlich. Bereits nach einem Monat wusste ich nicht mehr, ob es so richtig war, dass ich damals für Ja gestimmt hatte. Ich fühlte mich unwohl in seiner Nähe und seine Umarmungen widerten mich an. Ich bat ihn, es sein zu sein lassen, weil ich das nicht möchte, aber er machte weiter.
An Weihnachten war natürlich viel Hilfe nötig. Viele Besucher, viel zu tun, wenig Helfer, wenig Zeit zwischen den Gottesdiensten. Wie die Jahre zuvor half ich auch diesmal und blieb noch bis zu Beginn des dritten Gottesdienstes. Aber da war es auch. Wir standen in der Sakristei, die letzten Stühle waren eingesammelt und der Gottesdienst würde in wenigen Minuten beginnen. Die Türe war geschlossen und wir waren alleine. Er presste mich an den Schrank. "Frohe Weihnachten!". Ich drehte mich weg. "Hör auf, bitte. Lass das!" Er küsste mich direkt auf den Mund und ich konnte seine Zunge an meinen Lippen spüren. Seine Hände berührten mich.
Ich stand starr da, stumm, hatte ein seltsamen Angstgefühl.
Die Türklinge wurde hinuntergedrückt. Er ließ von mir ab, stand vor mir und faselte: "Dann sind wir fertig. Kannst gehen!" Der Pfarrer kam herein, suchte seine Sachen zusammen. Er hatte nichts bemerkt.
Ich nahm meine Sachen und ging. Verängstigt und verwirrt. Was war das? Was war geschehen?

Man hat mir nichts angemerkt. Ich konnte mich gut verstellen. Ich wollte nicht, dass jemand etwas merkt. Wenn nicht einmal ich verstand, was geschehen war und warum, wie sollte ich dann darüber sprechen?

Ich bat zwei Freunde, einer davon mein bester Freund, am Silvesterabend mit in die Kirche zu kommen und ihn sich anzusehen. Wir hatten abgemacht, dass wir uns nicht kennen würden. Da ich alle Gottesdienstbesucher begrüße und solch junge Männer selten in die Kirche kommen, sprach ich mit ihnen. Es schien gut zu gehen.
Doch er ahnte wohl etwas, denn er ließ sie nicht aus den Augen und sprach mich immer wieder auf die beiden jungen Männer an.
Nach dem Gottesdienst war die einhellige Meinung: "Nimm Dich vor ihm in acht, er ist komisch, vielleicht sogar gefährlich!" Das wollte ich tun. Ich hatte auch ihnen nicht die ganze Wahrheit über den Weihnachtsabend erzählt.

Es regnet...

Irgendwo entfernt schrie ein Kauz und irgendwo in der Nähe maunzte eine Katze. Das Gebüsch raschelte und etwas schien wegzulaufen. Es ist zwar noch Sommer, aber dennoch recht kalt. Oder kommt die Kälte von innen? Die Arme werden vor dem Körper verschränkt, die Schultern hochgezogen. Der Kies unter den Schuhen knirscht. Es ist dunkel und nur der Vollmond zeigt einen begehbaren Weg. Langsame Schritte, quälend und zäh. Die Schritte tun weh und die Kälte beißt immer mehr. Zwei Meter wirken wie zwei endlose Meilen. Die Knie zittern und zwingen schließlich zum Stehen bleiben. Es ist still. So entsetzlich still. Kein Stress und keine Hektik, keine Geräusch, die des Tags durch die Straßen fliehen und laut „LEBEN!“ schreien. Stille rundherum um die lauten, quälenden, entsetzten und verletzten Schreie und Klagelaut, die sich in den Gedanken abspielen. Ein Wettlauf, ein Kampf, der sich im Kopf abspielt, in unerforschten Windungen des Gehirns. Etwas, das nicht gewinnen kann. Nur Verlieren als Auswahlmöglichkeit und als Ziel. Und da macht sich noch etwas ganz unerbittliches Bitteres bemerkbar und bahnt sich einen alles mit sich reißenden, zerstörerischen Weg. Salzwasser, dessen Ziel der Abgrund der Lippen oder der Todessturz auf den Boden sind. Sie werden nicht einmal an ihrem Suizid gehindert.
Das Holz des Zaunes fühlt sich klamm und splittrig an, als die Hände ihn berühren und dennoch klammern sie sich so flehend fest an ihn. Der Schmerz lenkt ab.
Die Augen blicken zu einem dunklen Fenster. Keine Ahnung, ob der da zu Hause ist oder bei einem anderen Lebewesen. Keine Ahnung, ob da Gedanken schreien und rufen und flehen und zu den Gedanken da draußen vor der Tür wollen. Wahrscheinlich nicht. Denn gestern wollte da ein Herz weg und rannte und lief und entfloh. Weg, nur weg. Fort von der Liebe.Es regnet leise und bedächtig in der Dunkelheit.....

Die Flut kam - Bitte um Spenden

Man liest und hört überall darüber seit dem 26. Dezember.
Die Flut kam.
Ich möchte mich deshalb hier nicht mit Berichten und ähnlichem aufhalten, ich möchte nur sagen:
Die Menschen dort brauchen Hilfe.
Unsere Hilfe.
Wenn Sie und ihr etwas tun wollt:

Erdbeben-Südasien": Diakonie Katastrophenhilfe, Konto 502 707, Postbank Stuttgart, BLZ 600 100 70 oder online über das Internet www.diakonie-katastrophenhilfe.de/spenden.


WORLD VISION Deutschland e.V.Am Houiller Platz 461381 FriedrichsdorfTel. 06172-763-0, Fax 06172-763-270
www.worldvision.de

Buchtipp

Was 1996 in Belgien geschah, löste eine Flutwelle von Medienberichten, Aufständen, Forderungen und Mitgefühl aus.
Marc Dutroux wurde endlich gefasst und Dank zweier Überlebender konnte man ihn auch endlich überführen.

Acht Jahre danach begann endlich der ersehnte Prozess, durch den der "Psychopaten" und "Kinderschänder" zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde.
Sabine Dardenne war eine der beiden Überlebenden und beschreibt die 80 Tage in einem Loch im Haus des Kinderschänders auf erschütterliche Weise.
Die damals Zwölfjährige gab nicht auf, führte einen Kalender, beobachtete ihre Umgebung und das "Monster" und schrieb Briefe an ihre Familie, die diese nie bekam.
Was sie dort erlebt hat in 80 Tagen Gefangenschaft und wie sie es geschafft hat durchzuhalten, weiter zu machen und nach acht Jahren dem Kinderschänder in die Augen zu sehen und sogar in das Haus und das Loch, in dem sie eingesperrt war zu gehen, beschreibt Sabine Dardenne in ihrem ergreifenden Buch "Ihm in die Augen sehen".

Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und als Warnung steht, damit so etwas nie wieder geschieht.




Dardenne, Sabine mit Cuny, Marie-Thér?se: Ihm in die Augen sehen - Meine verlorene Kindheit, München (2004)
ISBN: 3-426-27367-5

Dienstag, Dezember 28, 2004

Das Leben teilen

Sie stand da, sprach gerade mit jemandem und er näherte sich langsam und leise von hinten. Sie lächelte und plauderte und sein schelmisches Grinsen verriet, was er vor hatte.
Er umarmte sie von hinten und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Ihre Augen weiteten sich erstaunt, als sie sich umdrehte, dann lächelte sie erfreut, sagte irgend etwas, das wie "Hello darling" klang und sie küßten sich kurz aber innig auf den Mund. Dann ging er, denn er hatte einen wichtigen Termin.

Wie schön. Sehnsucht. Auch haben will.
Aber ich hab es nicht.
Auch aus Gründen der Angst und der Zweifel und der Unfähigkeit einen Menschen an meiner Seite zu ertragen, womöglich mal 24 Stunden mit ihm verbringen zu müssen.
Natürlich hätte ich diese Vertrautheit auch gerne, aber andererseits möchte ich auch für mich sein können. Alleine sein, unabhängig und frei und nicht 24 Stunden am, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr auf jemanden Rücksicht nehmen müssen.
Eine freie Beziehung voller Vertrauen, Liebe und Harmonie.
Ach, wäre das herrlich.
Leider sind die wenigsten Menschen dazu fähig.
Also bleiben wir solo und träumen von den beiden, die den Mut haben und die Kraft ihr Leben komplett zu teilen.
;-)

Verzeihen

Es geht ums Verzeihen.
Denn es heißt ja immer, dass man verzeihen können muss und schon in der Bibel steht es geschrieben. Hat nicht sogar Jesus seinen Peinigern und Mördern verziehen? Hat nicht sogar Gott denjenigen verziehen, die seinen Sohn gemartet haben?
Warum aber fällt das trotzdem noch so schwer?
Ich will mir keine Allmacht und Gleichstellung mit Gott anreden. Nichts liegt mir ferner als das. Aber ich will doch darĂĽber nachdenken, es war wohl schlimmer und das Verzeihen bitterer und schwerer als es so oft in unserem Alltag vorkommt.
Wie oft waren wir schon diejenigen, die einen Mord verzeihen mussten? Wie oft gehörten wir schon zu denen, die schreckliche Folterungen, Kriege, Vergewaltigungen, Plünderungen und ähnliches verzeihen mussten?
Man denkt immer, das passiert ganz weit weg von einem selbst und seinem Umfeld, aber das ist nicht so und wir kommen viel öfter mit solchen Untaten und deren Tätern und Opfern in Berrhung, als wir denken.
Wünschen mag ich so etwas nicht einmal meinem ärgsten Feind, denn selbst er hat dies nicht verdient.
Und dennoch wünsche ich dem Menschen, den ich mit "ärgster Feind" benennen würde schlimmste Dinge, in manchen dunklen Stunden sogar den Tod.
Ob er ihn wirklich verdient hätte, weiß ich nicht. Denn das kommt immer auf die Sicht des Betrachters an.
Aber dennoch. Eine Strafe hätte er verdient. Nach meinem menschlichen Ermessen.
Was wĂĽrde Gott dazu sagen?
Ein barmherziger Gott, der ihm verziehen hat und mir auch meine dunklen unchristlichen Gedanken verzeihen wird, wird seine eigene Art der "Bestrafung" haben und anwenden.
Wie sieht diese aber aus?
Vielleicht ist die schlimmste Bestrafung, die es auf Erden gibt die Erinnerung. Denn egal ob schön oder gräßlich, sie wird nicht erlischen und kann einem nicht genommen werden (im Normalfall). Genauso, wie das Opfer nicht vergessen wird, was mit ihm geschehen ist, genauso wird der Täter nicht vergessen, was er getan hat. Egal, ob er einsieht, dass es im allgemeinen moralischen Sinne unrecht war oder nicht. Er wird sich daran erinnern und manchmal ist das die schlimmste Strafe, die ein Mensch erleiden kann.
Aber auch das Verzeihen gehört dazu. Manche Dinge verzeiht man sich nicht einmal selbst und das Opfer aber kommt und sagt: Ich habe Dir verziehen!
Das muss hart sein für den Täter, das muss Unverständnis bei manchen hervorrufen, das muss niemand verstehen.

Dennoch kann ich es nicht. Noch nicht. Vielleicht werde ich es einmal können und ich hoffe es wirklich. Denn erst dann kann ich vergessen und weiterleben. Befreit vom Geschehenen.
Eine gesetzliche "gerechte" Bestrafung gab es nicht und Selbstjustiz ist ja (berechtigterweise) verboten in unserem Staat. Ich mag nicht verurteilt werden für seine Fehler und meine Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Der Gedanke der Selbstjustiz ist dennoch verlockend. Einfach hingehen, ihm ins Gesicht sagen, wie sehr ich ihn verachte und verabscheue. Ihm sagen, wie es mir geht und wie ich mich fühle. Wie ich mich die ganze Zeit gefühlt habe. Ich denke dabei auch sehr oft (immer) an körperliche Gewalt, die ich gerne gegen ihn richten würde. Anfangs war dies ein Spiesrutenlauf gekoppelt mit grausamster Folterung, die langsam zu einem grausamen Tode führen sollte. Irgendwann klang das ganze zu einer einfachen und recht harmlosen Kastration in aller Öffentlichkeit ab.
Ich bin also recht zahm geworden.
Aber ich weiß auch, dass dies keine Lösung wäre, sondern ein Problem, weil ich dfür verurteilt werden würde. Ich, das Opfer und nicht er, der Täter.
Forensisch gesehen ist er natürlich auch ein Opfer, wenn nicht gar DAS Opfer. (Was mich dann in eine gefährliche Täterrolle treibt.) So gesehen hatte er nicht die wunderschöne, unversehrte Kindheit und Jugend, nicht das geblümte Bilderbuchleben. So gesehen kann schon ein einziger Streit mit seinen Eltern dazu geführt haben, dass er so etwas tut. So gesehen gab es natürlich auch Vorzeichen, die hätten erkannt und berücksichtigt werden müssen und natürlich hat sein Umfeld versagt, weil es das nicht gesehen hat und ihm keine HIlfe anbot. Und ihm nicht half.
NatĂĽrlich. So gesehen.
Anders gesehen ist jeder auch ein wenig Schmied seines eigenen Glückes und alleiniger Verantwortlicher seines eigenen Handelns. Anders gesehen hätte er das nicht tun müssen.
Anders gesehen.

Aber ich kann dennoch nicht verzeihen. Vielleicht hilft mir das Schreiben, das Erzählen. Vielleicht geht es dadurch...