Samstag, Mai 23, 2009

und der Tod lachte...

Sie war lange geblieben. Bis alle anderen endlich gegangen waren und der Regen noch stärker geworden war. Vollkommen durchnäßt stand sie immer noch reglos da und betrachtete das Bild, das sich ihr bot. Es war egal, ob sie krank werden würde, oder ob der hunderste Tropfen über ihr Gesicht rann. Fast spürte sie es gar nicht. War das denn jetzt noch von Bedeutung.
Sie war geblieben und hatte den Tod gespürt, der unerbittlich herbeigeschritten war und sich genommen hatte, was er wollte. Er brauchte es nicht, der Tod brauchte gar nichts, deshalb war er ja der Tod. Aber er nahm sich, was er wollte. Vorzugsweise Liebende, denn er ergötzte sich so gerne an dem Leid, das er hinterließ.
Ja, das sah er ganz gerne. Das munterte ihn auf, bei seinem tristen Job war das nötig. Leise schlich er sich an das Pärchen heran und konnte sich kaum zurückhalten, den einen nicht sofort zu packen! Aber es hätte den Spaß verdorben. Denn es musste der richtige Moment sein, in dem er zuschlug. Die Liebe musste brennen, die beiden Liebenden mussten sich sehnen und sich so sehr lieben, dass sie scheinbar ohne einander nicht mehr leben konnten. Nun ja, sie wollten es einfach nur nicht, aber das war ja nicht sein Problem und machte sie Sache so spannend. Das größte Vergnügen bereitete es dem Tod, sein Opfer zu holen, wenn der andere Liebende sich nicht verabschieden konnte. Ein plötzlicher Tod, etwa durch einen Unfall. Ha! Das war das Beste! Dann stand die Liebende da und weinte und schrie und suchte den Schuldigen. Dann hallte ihre schrille Stimme durch das Universum und ihr Schmerz breitete sich aus und vergiftete für einen Moment alles Leben. Ihre Tränen schienen nie mehr wieder zu versiegen. Und der Tod lachte. Dann stand der Liebende stumm und erstarrt am Grab und man sah Tränen, die leise und schleichend fielen und versiegten. Der Schmerz war genauso groß, aber der Liebende litt stiller. Und der Tod lachte. Nur totgelacht hat er sich nie.

Sie war lange geblieben und schließlich kniete sie vor dem Grab nieder, alleine und nass bis auf die Haut. Was Tränen waren und was Regenwasser konnte man nicht mehr unterscheiden. Stumm flüsterte sie den Namen ihren Liebsten. Immer und immer und vergeblich. Er kam nicht mehr zurück. Der Liebste stand am Kopf des Grabes neben dem Tod und weinte. Weil seine Liebste weinte und er sie doch nie weinend und unglücklich sehen wollte.
Und der Tod neben ihm lachte. Vielleicht würde er sie bald holen, aber das wäre langweiliger. Es wäre kein Liebster da, der um sie weinte. Und der Tod hätte nichts zu lachen.

Freitag, Mai 15, 2009

Die Axt

Er küsste sie und schmeckte dabei den metallenen Geschmack des Blutes. Sogar aus ihrem Mund ergoss er sich, drängte fliehend in die Freiheit. Heraus aus den engen Adern! Überall klaffende Wunden. Während er sie betrachtete, wiegte er die Axt in der Hand. Der Holzgriff war warm und etwas klebrig. Die Klinge war rot und von ihr troff die Lebensflüssigkeit der Frau, die er liebte. So still lag sie vor ihm, halb auf dem Sofa, halb auf dem Teppich. Ihre Gliedmaßen waren komisch verrenkt oder lagen wenige Zentimeter vom Körper entfernt. Weitaufgerissen schien ihr wundervoller Mund zu schreien. Laut und grell. Ihr letzten Schreie waren nicht die um Hilfe gewesen, in dem abgelegenen Haus hätte sie ohnehin niemand gehört; ihre Lippen hatten zuletzt seinen Namen geformt und ihre Stimme hatte ihn verzweifelt und kreischend intoniert. So hatte es sein sollen. Sie gehörte ihm, das war ihr klar geworden und das waren ihre letzten Worte gewesen. Die einst so strahlend grünen Augen waren weit aufgerissen und starrten ihn an. Wie die Augen eines Fischen glotzen sie und veruteilten ihn. Er konnte dennoch Angst in ihnen erkennen. Schreckliche Angst, in der sie nun immer bleiben würden. Doch ihr letzter Blick hatte ihn eingefangen und festgehalten. Nur das zählte.
Nachdem er die Axt beiseite gelegt hatte, griff er den Torso und was noch daran hing und trug ihn in die Hütte neben dem Haus. Danach sammelte er die restlichen Gliedmaßen ein und machte sich an die Arbeit. Es war nicht schwieriger als bei den Tieren, die er jahrelang präperiert und ausgestopft hatte. Auf einem Tisch neben ihm stand eine Katze, seine bisher wohl beste Arbeit, die nie jemand zu Gesicht bekommen hatte. Seine Frau hatte gedacht, Smoky wäre weggelaufen und hatte tagelang geweint. Den Schnitt durch die Kehle der Katze - es war wie ein Schneiden durch Butter gewesen - hatte er gut kaschiert. Diese Katze... so viel Aufmerksamkeit hatte seine Frau ihr geschenkt und Smoky verwöhnt und verhätschelt und sich fast mehr um sie gekümmert, als um ihn. Dabei war er doch ihr Mann. Dabei sollte sie sich doch um ihn kümmern, ihn verhätscheln, ihn lieben - und nur ihn!
Seinen Beruf hatte sie immer abstoßend gefunden und weil es in ihren Augen derart widerlich war, hatte sich nach und nach alle seine Arbeiten, die er nicht verkauft hatte, aus dem Wohnhaus verbannt. In seine Arbeitshütte war sie nie gekommen. Daher konnte Smoky auch hier stehen. Auch wenn es ihn immer gestört und er sich ungeliebt und abgewiesen gefühlt hatte, hatte er doch erkannt, dass es auch einen positiven Effekt hatte. Dadurch hatte er Olaf, den Liebhaber seiner Frau beseitigen können. Einmal die Woche war er zu ihr gekommen, angeblich ein alter Studienkollege, mit dem sie an einer wissenschaftlichen Arbeit über was auch immer arbeitete. Aber wie sollte er das glauben? Blöd war er nicht und er hatte sehr bald erkannt, dass Olaf nicht mit seiner Frau wissenschaftliche Studien betrieb, sondern vielmehr an seiner Frau arbeitete. Welcher Mann kann das zulassen? Er konnte es jedenfalls nichts und Olaf verschwand. Offiziell eine lange Reise nach Australien - zu Studienzwecken, wie er in einem Brief mitteilte. Inoffiziell schrieb er mit zitternden Händen diesen Brief und starb dann ebenso wie Smoky in der Hütte. Mit dem Unterschied, dass er nach seinem Tod nicht ausgestopft sondern tief in der Erde verbuddelt wurde.
Mit seiner Frau hatte er anderen vor. Sie sollte ihn lieben und ehren. Dem stand nun auch niemand mehr im Weg. Er würde sie an ihren Lieblingsplatz setzen. Am Fenster im Schlafzimmer, in ihrem Sessel, mit einem Buch in der Hand. Den Blick auf das Bett gerichtet. Immer würde sie ihn ansehen, leicht lächelnd. Das würde zwar viel Arbeit werden, aber es würde sich lohnen.
Für immer sein. Nur sein.